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Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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der Geschichte, das mir nicht behagte. Immer stärker wurde dieses Gefühl, je länger ich darüber nachdachte ... als ob diese Gisela Enn und ihre gemarterte Tochter etwas waren, das nur mich selbst anging und sonst niemanden. Etwas höchst Persönliches und Privates – fast von einer Aura der Unanständigkeit umgeben, und nichts, dessen ich mich wie auch immer entledigen konnte.
    Ich fand natürlich keine besonders stichhaltigen Argumente, um dieses Gefühl zu untermauern, aber als ich ins Bett ging, hatte ich jedenfalls einen Entschluss gefasst. Ich würde Walther nicht informieren. Zumindest nicht im Augenblick.
    Erst einmal würde ich mehr über die Verhältnisse in der Villa Guarda herauszufinden versuchen.
    Ich wollte mehr über dieses stumme Vogelwesen wissen, bevor ich jemand anderem darüber etwas mitteilte. Vielleicht war es auch eine Frage des Vertrauens – des ausgesprochenen und nicht ausgesprochenen –, aber ich glaube, in ebenso hohem Grade drehte es sich um ein Spiel.
    Ich habe schon immer einen Hang zum Spielen gehabt. Ganz besonders, wenn Regeln und Grundlagen noch nicht vollkommen aufgedeckt sind.
    Während alles noch offen ist. Auch die Qualität und die Möglichkeiten der Spielsteine.
     
    Am Freitagvormittag hatten Walther und ich unsere wöchentliche Besprechung. Ich erzählte nichts. Wie üblich gingen wir die kommende Woche durch. Was mich betraf, so war kein neuer Klient angekündigt, ich hatte nur die alten Vertrauten und einen, der ein paar Tage zuvor Premiere gehabt hatte.
    Es ist Walther, der darauf beharrt, den Ausdruck »Premiere« zu benutzen, nicht ich. Von irgendwelchen »Finalen« ist dagegen bei uns nur selten die Rede.
    Er verließ die Praxis gegen zwölf Uhr. Im Laufe des Nachmittags hatte ich zwei Termine. Z – ein junger, ziemlich neurotischer Mazedonier, der nicht darüber hinwegzukommen schien, dass seine Freundin ihn wegen eines Landsmanns verlassen hatte.
    Und dann Frau Kumbach, von der ich schon erzählt habe.
     
    Ich kam gegen fünf Uhr nach Hause, und die Rastlosigkeit schlug ihre Krallen in mich, sobald ich die Tür hinter mir zugezogen hatte. Es war eine Woche vergangen, seit Kristine verschwunden war, und jetzt, im Gegensatz zum letzten Freitag, erschien mir das Wochenende viel zu lang und öd. Unerträglich und trostlos. Ich hatte nicht einmal Lust, ins Café zu gehen ... noch weniger ins Baxi’s natürlich, das wahrlich nicht meinen Erwartungen entsprochen hatte.
    Irgendeine andere Alternative fiel mir nicht ein. Ich bestellte telefonisch eine Pizza und versuchte drei oder vier alte Freunde zu erreichen (darunter Janos), aber es schien, als wären sie nicht sonderlich interessiert daran, mit mir zu reden.
    Zwischen neun und halb eins saß ich vorm Fernseher und schaute mir eine idiotische Sendung nach der anderen an. Das Einzige, was ich mir wünschte: dass die Stunden möglichst schnell verrinnen würden, damit ich ins Bett gehen konnte.
    Als ich glücklich im Bett lag, konnte ich natürlich nicht einschlafen. Lag ins Laken eingewickelt da, schwitzte und drehte und wendete mich bis weit zum Morgengrauen.
    Die ganze Zeit tauchte das Bild des Mädchens vor mir auf.
    Judith.
    Ihr schmaler, angespannter kleiner Vogelkörper. Unerreichbar in dem großen, weißen Zimmer.
    Zandor tauchte auch auf. Und Gisela und ihr rauer, kontrollierter Tonfall, während sie die ganze Geschichte erzählte.
    Übrigens – war es die ganze?
    »Ich werde jemanden töten.«
    Ich hatte das Gefühl, als würde es mir gelingen, diese Worte immer wieder zu verdrängen. Jedes Mal, wenn sie wieder auftauchten, überraschten sie mich von Neuem.
    Und Alois?
    Kurz nach halb drei stand ich auf und suchte den Autoatlas heraus. Ich ging davon aus, dass die Entfernung nach Weill nicht mehr als zweihundert Kilometer betrug. Aber als ich es nachrechnete, stellte sich heraus, dass es fast dreihundertzehn waren.
    Was mir nur entgegenkam. Es war zumindest eine Möglichkeit, den Samstag herumzubringen.

    SAMSTAG, 26. APRIL

    I ch war genau um halb vier da. Regenschleier und Industriequalm hatten die Stadt in einen dünnen Nebel gehüllt. Einen Dunst, der alle Farben zu einem einzigen langweiligen Grauton auszuwaschen schien. Als schiene alles im Begriff zu sein zu verschwinden – unter die Erde oder vielleicht nur in das gebrochene Auge des Betrachters, in dem eins vom anderen nicht mehr zu unterscheiden war. Es gab eine Zeit, da sah ich einen gewissen Sinn darin, eben solch ein Zuschauer zu

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