Barrayar
Direkteres?«
Ihr Denken lief irgendwie nur am Rande des sich im Kreis drehenden Gesprächs nebenher. »Wie bitte?«
Er lächelte und zuckte die Achseln.
Cordelia runzelte die Stirn. »Wollen Sie damit sagen, wenn wir ein Mädchen hätten, dann würden alle so denken?«
»Sicherlich.«
Sie atmete hörbar aus. »O Gott. Das ist ja … Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand, der seinen Verstand beisammen hat, es sich wünschen kann, in die Nähe der Herrschaft über Barrayar zu kommen. Dadurch macht man sich doch nur zur Zielscheibe für jeden Verrückten, der irgendeinen Groll hegt, soweit ich sehen kann.« Das Bild von Leutnant Koudelka, mit blutigem Gesicht und betäubt, kam ihr in den Sinn. »Es wäre auch schlimm für den armen Kerl, der Pech genug hat, neben einem zu stehen.«
Seine Aufmerksamkeit nahm zu. »Ach ja, der unglückliche Vorfall neulich. Wissen Sie vielleicht, ob bei den Untersuchungen schon irgend etwas herausgekommen ist?«
»Nichts, von dem ich gehört hätte. Negri und Illyan reden meistens über Cetagandaner. Aber der Kerl, der die Granate abgeschossen hat, ist unbehelligt davongekommen.«
»Zu schlimm.« Er leerte sein Glas und tauschte es dann gegen ein frisch gefülltes aus, das ihm sofort von einem vorübergehenden Diener in der Livree des Hauses Vorbarra gereicht wurde. Cordelia blickte sehnsüchtig auf die Weingläser. Aber für die Zeit der Schwangerschaft enthielt sie sich der Stoffwechselgifte. Das war noch ein anderer Vorteil der Schwangerschaft in Uterusreplikatoren auf betanische Art: kein Zwang zu diesem verdammten enthaltsamen Leben. Zu Hause hätte sie sich nach Belieben vergiften und gefährden können, während ihr Kind heranwuchs, rund um die Uhr von nüchternen Fortpflanzungstechnikern voll überwacht, sicher und geschützt in den Replikatorenbanken. Wenn sie sich nur vorstellte, sie wäre mit der Schallgranate beschossen worden …
Sie hatte Verlangen nach einem Drink.
Nun ja, sie brauchte nicht die den Verstand betäubende Euphorie des Äthanols, Konversation mit Barrayaranern betäubte den Verstand zur Genüge. Ihre Augen suchten Aral in der Menge – da war er, mit Kou neben sich, im Gespräch mit Piotr und zwei anderen grauhaarigen alten Männern in Grafenlivree. Wie Aral vorhergesagt hatte, war sein Gehör innerhalb weniger Tage wieder normal geworden. Aber immer noch wanderten seine Blicke von Gesicht zu Gesicht, nahmen Hinweise aus Gesten und Nuancen auf, sein Glas, von dem er noch nicht getrunken hatte, war nur Dekoration in seiner Hand. Er war im Dienst, ohne Frage.
War er überhaupt noch einmal außer Dienst?
»War er sehr beunruhigt durch diesen Angriff?«, fragte Vordarian, der ihrem Blick zu Aral gefolgt war.
»Wären Sie nicht beunruhigt?«, sagte Cordelia. »Ich weiß es nicht … Er hat so viel Gewalt in seinem Leben gesehen, fast mehr als ich mir vorstellen kann. Vielleicht ist es für ihn fast so etwas wie … weißes Rauschen. Einfach ausgeblendet.« Ich wünsche, ich könnte es ausblenden.
»Sie kennen ihn allerdings noch nicht so lang. Erst seit Escobar.«
»Wir haben uns einmal vor dem Krieg getroffen. Kurz.«
»Oh?« Seine Augenbrauen hoben sich. »Das wusste ich nicht. Wie wenig man doch wirklich von den Leuten weiß.« Er machte eine Pause, beobachtete Aral, beobachtete sie, wie sie Aral beobachtete. Einer seiner Mundwinkel krümmte sich nach oben, dann verschwand das Zucken, als er nachdenklich seine Lippen schürzte. »Er ist bisexuell, wissen Sie.« Er trank einen kleinen Schluck von seinem Wein.
»War bisexuell«, korrigierte sie gedankenverloren, während sie zärtlich durch den Saal blickte. »Jetzt ist er monogam.«
Vordarian verschluckte sich und prustete. Cordelia beobachtete ihn besorgt und überlegte, ob sie ihn auf den Rücken klopfen sollte oder so, aber er kam wieder zu Atem und fasste sich. »Er hat Ihnen das gesagt? « , schnaufte er verwundert.
»Nein, Vorrutyer sagte es mir. Kurz bevor ihm sein … ähm … tödlicher Unfall widerfuhr.« Vordarian stand wie zu Eis erstarrt da: es bereitete ihr ein gewisses boshaftes Vergnügen, endlich einen Barrayaraner so sehr verblüfft zu haben, wie die Barrayaraner manchmal sie verblüfften. Nun, wenn sie nur herausbringen könnte, welcher Teil ihrer Aussage ihn aus der Fassung gebracht hatte … Sie fuhr ernsthaft fort: »Je mehr ich auf Vorrutyer zurückschaue, desto mehr erscheint er mir als tragische Figur. Immer noch besessen von einer Liebesaffäre, die schon seit
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