Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand
schien ziemlich schlechter Laune zu sein.
»Du mit deinem Timing mal wieder!«, brummte er. »Eben grade hatte ich den Meuchelmörder beim Wickel, da fällt dir natürlich nichts Besseres ein, als mich zu rufen!«
»Es kann jeden Moment losgehen!« Nathanael war von der anstrengenden Beschwörung noch ganz benommen und musste sich an die Wand lehnen. »Da! Schau in den Spiegel! Sie versammeln sich bereits. Lovelace ist bestimmt schon unterwegs. Garantiert hängt er sich das Amulett um, damit er selber nichts abkriegt. I-ich glaube, es geht um eine Beschwörung.«
»Ach nee! So schlau bin ich auch. Na, dann komm in meine Tätzchen, Schätzchen.« Es quietschte leise, als der Dämon spielerisch die Klauen bewegte.
Nathanael wurde blass. Der Steindämon rollte mit den Augen. »Ich muss dich ja wohl mal wieder tragen«, meinte er. »Sonst schaffen wir es nicht mehr, Lovelace abzufangen, bevor er den Saal betritt. Wenn er erst mal drin ist, wird alles hermetisch abgeriegelt, darauf gebe ich dir Brief und Siegel.«
Nathanael trat wackelig einen Schritt vor. Der Wasserspeierdämon tappte ungeduldig mit der Hinterpfote. »Keine falsche Rücksichtnahme«, knurrte er, »du brichst mir schon nicht das Kreuz. Ich bin fit wie ein Turnschuh und stinksauer.« Damit packte er Nathanael um die Taille, drehte sich um und wollte losstürzen, stolperte aber über die Leiche auf der Schwelle.
»Pass gefälligst auf, wo du deine Opfer rumliegen lässt! Da stößt man sich ja die Zehen dran!« Er setzte über das Hindernis hinweg und hüpfte mit großen Sprüngen durch den Raum, unterstützt von kräftigen Schlägen seiner Steinflügel.
Nathanaels Magen schlingerte bei jedem Flügelschlag. »Nicht so schnell!«, keuchte er. »Mir wird schlecht!«
»Dann wird dir das hier überhaupt nicht gefallen.« Bartimäus sprang unter dem Türsturz hindurch, ließ die Treppe Treppe sein und ließ sich ohne Umstände zehn Meter in die Tiefe fallen. Nathanaels Kreischen hallte von den Deckenbalken wider.
Sie landeten im Vestibül und der Dämon überwand den angrenzenden Flur halb fliegend, halb hüpfend. »So«, meinte er liebenswürdig, »du hast also deinen ersten Gegner zur Strecke gebracht. Und? Wie fühlst du dich? Bestimmt total männlich. Hilft dir das über den Tod von Underwoods Frau hinweg?«
Nathanael war so kotzübel, dass er kaum zuhören, geschweige denn antworten konnte.
Kurz darauf war der Flug so unvermittelt zu Ende, dass Nathanaels Arme und Beine wild herumschlenkerten. Der Dämon bremste am Anfang eines langen Ganges ab, ließ seine Last fallen und zeigte wortlos geradeaus. Als Nathanael wieder einigermaßen aus den Augen gucken konnte, sah er, was der Dämon gemeint hatte.
Es war der Gang zum Vortragssaal. An der offenen Tür standen drei Personen: ein hochnäsiger Diener, der die Tür aufhielt, der fischige Zauberer Rufus Lime und Simon Lovelace, der sich soeben den Hemdkragen zuknöpfte. Ein goldenes Aufblitzen, dann wurden Kragen und Krawatte wieder zurechtgerückt. Lovelace klopfte seinem Kollegen auf die Schulter und trat in den Saal.
»Wir kommen zu spät!«, zischte Nathanael. »Kannst du nicht ein bisschen…?« Er wandte erstaunt den Kopf. Der Steindämon war verschwunden.
Ein leises Stimmchen raunte ihm ins Ohr: »Streich dir das Haar glatt und geh hinterher. Die Bediensteten werden reingelassen. Beeil dich!« Nathanael widerstand dem Drang, sich am Ohrläppchen zu kratzen, denn dort spürte er etwas Kleines, Kitzelndes. Er nahm Haltung an, fuhr sich durchs Haar und trabte zur Tür.
Lime war weg. Der arrogante Diener wollte gerade die Tür schließen.
»Stopp!« Wie gern hätte Nathanael eine tiefe, gebieterische Stimme gehabt. Er marschierte entschlossen auf den Diener zu. »Lass mich rein! Drinnen wird noch jemand für die Getränke gebraucht!«
»Wer bist du denn?«, fragte der Mann und beäugte ihn skeptisch. »Wo ist William?«
»Äh, der hat Kopfschmerzen. Ich bin für ihn eingesprungen.«
Schritte im Korridor, eine befehlsgewohnte Stimme. »Moment!«
Nathanael drehte sich um. Er hörte Bartimäus fluchen. Der schwarzbärtige Meuchelmörder kam angerannt, barfuß, mit zornsprühenden blauen Augen und zerfetztem Umhang.
»Schnell!«, kommandierte der Dschinn auf seinem Ohrläppchen. »Die Tür ist noch einen Spalt offen – drängel dich durch!«
Der Mörder schritt noch schneller aus. »Halt den Jungen auf!«
Doch Nathanael hatte dem Diener bereits kräftig auf den Fuß getreten. Der Mann
Weitere Kostenlose Bücher