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Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand

Titel: Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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versetzte Nathanaels Blut sogar noch heftiger in Wallung als seine eigene Demütigung. Miss Lutyens hatte ihn beschützen wollen, und nur weil sie etwas getan hatte, was eigentlich Mr Underwoods Pflicht gewesen wäre, hatte sein Meister sie fortgeschickt.
    Das würde ihm Nathanael nie verzeihen.
    Nach Miss Lutyens’ Weggang war Mrs Underwood der einzige Mensch, in dessen Gesellschaft sich Nathanael wohl fühlte. Ihre Freundlichkeit versüßte ihm die arbeitsreichen Tage und war ein Ausgleich zu der kühlen Distanziertheit seines Meisters und der Gleichgültigkeit seiner Lehrer. Doch Nathanael durfte die Frau seines Meisters nicht ins Vertrauen ziehen, das war zu gefährlich. Um unangreifbar und unbesiegbar zu sein, musste man unerkannt wirken. Ein richtiger Zauberer behielt seine Absichten für sich.
    Nach ein paar Monaten erprobte Nathanael seine neuen Fähigkeiten zum ersten Mal – er wollte einen niederen Dämon, einen unbedeutenden Kobold beschwören. Das war durchaus nicht ungefährlich, denn auch wenn er zuversichtlich war, was die Beschwörungsformeln anging, so besaß er doch weder Kontaktlinsen zur Beobachtung der ersten drei Ebenen, noch hatte er inzwischen einen neuen, offiziellen Namen erhalten. Beides sollte er, so sein Meister, bekommen, wenn er mündig wurde, doch so lange konnte Nathanael nicht warten. Die Brille aus dem Labor sollte seinen Blick schärfen, und was den Namen betraf, so würde er dem Dämon keine Gelegenheit geben, seinen Geburtsnamen zu erfahren.
    Nathanael stibitzte aus dem Labor seines Meisters einen Rest Bronzeblech und schnitt daraus mühevoll eine halbwegs runde Scheibe zurecht. Wochenlang polierte er sie, glättete sie und polierte sie erneut, bis sie im Kerzenlicht funkelte und sein Spiegelbild unverzerrt zurückwarf.
    Dann wartete er ab, bis an einem Wochenende sein Meister und Mrs Underwood ausgegangen waren. Kaum war das Auto um die Ecke gebogen, machte sich Nathanael an die Arbeit. Er rollte den Teppich in seinem Zimmer auf und malte mit Kreide zwei einfache Pentagramme auf die Dielen. Obwohl es im Zimmer kalt war, lief ihm der Schweiß herunter. Er zog die Vorhänge zu und zündete die Kerzen an. Zwischen die beiden Kreise stellte er ein Räuchergefäß mit zerkleinertem Ebereschen-und Haselnussholz (ein Gefäß reichte in diesem Fall, da der Kobold, den zu beschwören sich Nathanael vorgenommen hatte, von schwacher und ängstlicher Natur war).
    Als alles bereit war, nahm Nathanael die glänzende Metallscheibe und legte sie in die Mitte des Kreises, in dem der Dämon erscheinen sollte. Dann setzte er die Brille auf, zog einen zerlumpten Kittel über, der an der Labortür gehangen hatte, trat in seinen Kreis und begann mit der Beschwörung.
    Mit trockenem Mund sprach er die sechs Silben der Anrufung und rief den Geist mit Namen. Seine Stimme brach dabei ein bisschen, und erst jetzt fiel ihm ein, dass er vergessen hatte, sich ein Glas Wasser in den Kreis zu stellen. Er durfte auf keinen Fall auch nur ein einziges Wort falsch aussprechen.
    Er wartete, zählte flüsternd die neun Sekunden ab, die seine Stimme brauchte, um durch den leeren Raum an den Anderen Ort zu gelangen. Dann zählte er die sieben Sekunden ab, die das Wesen brauchte, um seinen Namen zu vernehmen, und zum Schluss die drei Sekunden, die es dauerte, bis…
    …ein nackter Säugling über dem Bannkreis schwebte und mit Armen und Beinen fuchtelte, als ruderte er auf der Stelle. Er musterte seinen Beschwörer mit störrischen gelben Augen, schürzte dann den kleinen roten Mund und produzierte eine spöttische Spuckeblase.
    Nathanael sprach die Worte des Bindens.
    Der Säugling gurgelte zornig und gestikulierte protestierend mit den Patschhändchen, als seine Füße auf die schimmernde Scheibe niedergezogen wurden. Doch der Befehl war zu machtvoll: Als würde er in einen Abfluss gesogen, wurde der Säugling plötzlich zu einer lang gezogenen Farbschliere, die sich spiralförmig abwärts wand und von der Scheibe verschluckt wurde. Nathanael konnte gerade noch erkennen, wie sich das wutverzerrte Gesichtchen an der Metalloberfläche die Nase platt drückte, bevor es verschwamm und die Scheibe sich erst trübte und dann wieder blank wurde.
    Nathanael rezitierte mehrere Formeln, um die Scheibe zu sichern und auszuschließen, dass ihn der Kobold irgendwie übertölpelte, aber alles war in Ordnung. Mit zitternden Knien trat er aus dem Kreis.
    Seine erste Beschwörung war erfolgreich verlaufen.
    Der gefangene Kobold

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