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Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand

Titel: Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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aus dem Regal seines Meisters mit und verschlang den Inhalt mit unersättlicher Wissbegier, während um ihn herum welke Blätter auf die Steinbank und den Rasen regneten. An nieseligen Tagen saß er einfach nur da und betrachtete die tropfenden Büsche und seine Gedanken wanderten unablässig auf ihrer gewohnten Bahn von Verbitterung und Rachedurst.
    Mit seinen Studien kam er rasch voran, denn der Hass beflügelte ihn. Die Beschwörungsriten, die Formeln, mit denen sich ein Zauberer während der Anrufung schützen konnte, die Befehle, die einen ungehorsamen Dämon bestraften oder im Nu verscheuchten – Nathanael lernte sie alle auswendig. Wenn er auf eine schwierige Stelle stieß– die zum Beispiel auf Samaritanisch oder Koptisch verfasst oder in verzwickten Runen verschlüsselt war – und zu verzweifeln drohte, brauchte er nur zu Gladstones graugrüner Statue aufzublicken, um seine Entschlossenheit wiederzufinden.
    Gladstone hatte sich an jedem gerächt, der ihm Unrecht getan hatte. Er hatte seine Ehre verteidigt und wurde dafür allgemein bewundert. Nathanael hatte sich vorgenommen, ihm nachzueifern, doch inzwischen ließ er sich nicht mehr von seiner Ungeduld hinreißen, sondern setzte sie vielmehr bewusst als Ansporn ein. Wenn er aus dem Vorgefallenen eine schmerzhafte Lektion gelernt hatte, dann die, dass es unklug war, vorschnell zu handeln. Also arbeitete er viele lange, einsame Monate unermüdlich auf sein vordringlichstes Ziel hin: Simon Lovelace zu demütigen.
    In den Geschichtsbüchern fanden sich unzählige Episoden, in denen rivalisierende Zauberer einander bekämpft hatten. Manchmal hatte der mächtigere Magier gewonnen, nicht selten war er jedoch mit List und Tücke besiegt worden. Nathanael hatte keineswegs vor, seinen gefährlichen Gegner offen herauszufordern – jedenfalls nicht, bevor er nicht selbst über größere Zauberkräfte verfügte. Er wollte Lovelace auf andere Weise zu Fall bringen.
    Der reguläre Unterricht war für ihn jetzt nur noch lästige Zeitverschwendung. Als seine Stunden wieder aufgenommen wurden, legte sich Nathanael eine reumütige, gehorsame Fassade zu, die Arthur Underwood davon überzeugen sollte, dass er sich seines Vergehens inzwischen furchtbar schämte. Diese Maske ließ Nathanael nie fallen, nicht einmal dann, wenn ihm sein Meister im Labor die langweiligsten und banalsten Aufgaben abverlangte. Wenn ihn der Zauberer wegen eines geringfügigen Fehlers rügte, gestattete sich Nathanael nicht einmal, flüchtig das Gesicht zu verziehen. Er senkte nur den Kopf und beeilte sich, seinen Irrtum zu korrigieren. Nach außen hin war er der perfekte Lehrling, der den Wünschen seines Meisters in jeder Hinsicht nachkam und sich seine Ungeduld über das Schneckentempo, in dem die Ausbildung voranschritt, niemals anmerken ließ. Der wahre Grund dafür war, dass Nathanael Arthur Underwood nicht mehr als seinen eigentlichen Meister betrachtete. Seine Meister waren jetzt die alten Magier, die durch ihre Bücher zu ihm sprachen, ihm sein eigenes Lerntempo zugestanden und seinem Verstand eine schier unerschöpfliche Vielfalt von Wundern boten. Sie bevormundeten ihn nicht und sie ließen ihn auch nicht im Stich.
    Arthur Underwood hatte sein Anrecht auf Nathanaels Gehorsam und Respekt in jenem Augenblick verwirkt, als er es unterlassen hatte, seinen Lehrling vor Simon Lovelace’ Sticheleien und tätlichen Übergriffen in Schutz zu nehmen. Nathanael wusste, dass sich so etwas nicht gehörte. Jedem Zauberlehrling wurde beigebracht, dass sein Meister sozusagen Elternstelle an ihm vertrat. Er oder sie hatte den Lehrling zu beschützen, bis dieser alt genug war, selbst für sich einzustehen. Das hatte Arthur Underwood versäumt. Er hatte danebengestanden und zugesehen, wie sein Lehrling zu Unrecht gedemütigt wurde – erst im Salon, dann im Schulzimmer. Und warum? Weil er ein Feigling war und sich vor Lovelace fürchtete.
    Und was noch schlimmer war: Er hatte Miss Lutyens gefeuert.
    Aus den kurzen Gesprächen mit Mrs Underwood hatte Nathanael erfahren, dass Miss Lutyens nach besten Kräften versucht hatte, ihm zu helfen, als er kopfüber in der Luft hing und von Lovelace’ Kobold versohlt wurde. Offiziell hatte man sie wegen »Befugnisüberschreitung und Impertinenz« entlassen, aber Mrs Underwood deutete an, dass sie mit den Fäusten auf Mr Lovelace losgegangen war und nur durch das Einschreiten seiner Kollegen daran gehindert werden konnte, ihn zu verprügeln. Diese Vorstellung

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