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Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand

Titel: Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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blieb zu Hause und versuchte wahrscheinlich mithilfe anderer Methoden den Verbleib seines Amuletts zu ermitteln. Ich fragte mich, ob Faquarl und Jabor dafür hatten büßen müssen, dass sie mich entwischen ließen. Hoffentlich.
    Am Morgen des dritten Tages störte ein sanftes, bewunderndes Gurren meine Konzentration. Ein Stück von mir entfernt hatte sich eine zierliche, adrette Taube auf der Dachrinne niedergelassen und betrachtete mich interessiert mit schief gelegtem Kopf. Ich hatte den unbestimmten Verdacht, dass es sich um ein Weibchen handelte. Ich ließ ein, wie ich hoffte, arrogantes, abweisendes Gurren vernehmen und sah in die andere Richtung. Die Taubendame hüpfte kokett näher. Das hatte mir gerade noch gefehlt: ein verliebter Vogel. Ich rückte beiseite. Sie hüpfte noch näher heran. Ich rückte noch weiter weg. Jetzt hockte ich über dem Fallrohr am äußersten Rand der Dachrinne.
    Am liebsten hätte ich mich in eine streunende Katze verwandelt und ihr einen solchen Schrecken eingejagt, dass ihr sämtliche Federn ausgefallen wären, aber es war zu riskant, so dicht bei der Villa eine Verwandlung vorzunehmen. Ich wollte schon wegfliegen, da sah ich, dass zu guter Letzt doch noch jemand Simon Lovelace’ Grundstück verließ.
    In dem bläulich schimmernden Abwehrnetz öffnete sich ein rundes Loch und ein flaschengrüner Kobold mit Fledermausflügeln und Schweineschnauze schlüpfte hindurch. Das Loch schloss sich wieder, der Kobold schlug mit den Flügeln und flog auf Laternenhöhe die Straße entlang.
    Er trug zwei Briefe in der Pfote.
    In diesem Moment drang mir ein schmachtendes Gurren direkt ins Ohr. Ich wandte den Kopf – und blickte in den geöffneten Schnabel der liebestollen Taubendame. Mit typisch weiblicher List hatte sie die Gelegenheit ergriffen, sich an mich heranzumachen.
    Meine Antwort war kurz und unmissverständlich: eine Flügelspitze ins Auge und ein Tritt ins Gefieder. Und schon war ich in der Luft.
    Bei dem Kobold handelte es sich eindeutig um eine Art Boten, der vermutlich etwas zu überbringen hatte, das zu geheim oder zu brisant war, um es dem Telefon oder der Post anzuvertrauen. Ich kannte diese Geschöpfe. 4
(Botenkobolde waren in vielen Kulturen sehr beliebt. Über den Dächern und Dattelpalmen des alten Bagdad (dort gab es weder Telefon noch E-Mail) wimmelte es nach dem Frühstück und kurz vor Sonnenuntergang förmlich von den Dingern, denn das waren die Tageszeiten, zu denen man üblicherweise Botschaften verschickte.)
Was auch immer er befördern mochte, dies war endlich eine Gelegenheit, Lovelace auf die Schliche zu kommen.
    Der Kobold ließ sich von einem Aufwind über die Gärten hinwegtragen. Ich folgte ihm, hatte mit meinen kurzen Flügeln aber ordentlich zu flattern. Beim Fliegen dachte ich fieberhaft nach. Am vernünftigsten und erfolgversprechendsten war es, die Briefe, die er bei sich hatte, zu ignorieren und sich stattdessen mit ihm anzufreunden. Zum Beispiel könnte ich ebenfalls die Gestalt eines Botenkobolds annehmen, ein Gespräch anfangen und im Verlauf mehrerer ›zufälliger‹ Begegnungen sein Vertrauen gewinnen. Wenn ich geduldig, freundlich und ungezwungen genug war, würde er bestimmt irgendwann das eine oder andere ausplaudern…
    Ich konnte natürlich auch Gewalt anwenden. Das ging schneller und alles in allem zog ich diese direktere Herangehensweise vor. Daher folgte ich dem Kobold unauffällig und überholte ihn schließlich über Hampstead Heath.
    Ich vergewisserte mich, dass wir unbeobachtet waren, und verwandelte mich von der Taube zurück in den Steindämon. Dann stieß ich im Sturzflug auf den bedauernswerten Kobold herab, packte ihn und ging mit ihm zwischen ein paar struppigen Bäumen zu Boden. Ich hielt ihn am Fuß fest und schüttelte ihn tüchtig durch.
    »Ey, lass los!«, quiekte er und schlug mit seinen vier klauenbewehrten Pfoten um sich. »Ich krieg dich! Dann mach ich Hackfleisch aus dir, jawoll!«
    »Tatsächlich, mein Kleiner?« Ich zerrte ihn ins Gebüsch und wälzte einen großen Stein auf ihn drauf, sodass nur noch Schnauze und Pfoten herausschauten.
    »Also gut«, sagte ich, setzte mich im Schneidersitz auf den Stein und wand ihm die Umschläge aus der Pfote. »Erst mal lese ich mir das hier durch und danach unterhalten wir uns ein bisschen. Dann darfst du mir alles erzählen, was du über Simon Lovelace weißt.«
    Ich tat so, als hörte ich die offen gestanden haarsträubenden Flüche nicht, die unter meiner Sitzgelegenheit

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