Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand
Stein weg, bevor ich aufbreche.«
Der Kobold klang betrübt. »Ich wünschte, ich könnte alle Eure Fragen zu Eurer vollsten Zufriedenheit beantworten, Herr all dessen, was Euer Blick umfasst, aber zum Ersten: Leider habe ich solch bärtige Person noch nie gesehen. Und zum Zweiten: Ich habe keinen Zutritt zu den Gemächern des Zauberers. Dort hausen Furcht einflößende Wesenheiten. Ich spüre ihre Macht, aber zum Glück ist mir noch keine von ihnen begegnet. Ich weiß nur, dass mein Herr heute Morgen dreizehn raubgierige Krels auf seinem Grundstück freigelassen hat. Dreizehn! Einer wäre schon schlimm genug. Sie schnappen jedes Mal nach meinen Beinen, wenn ich mit einem Brief zurückkomme.«
Ich überlegte. Die Erfolg versprechendste Spur war die Verbindung zu Schyler. Er und Lovelace führten zweifellos etwas im Schilde, und wenn ich am Abend im Parlament die Ohren aufsperrte, würde ich womöglich herausfinden, was. Doch bis dahin hatte ich noch ein paar Stunden Zeit. Ich würde sie für einen kleinen Ausflug zu ›Pinns Ausstattungen‹ nutzen. Lovelace hatte sein Amulett mit Sicherheit nicht dort erworben, aber wenn ich mich ein wenig umsah, erfuhr ich vielleicht etwas über die jüngste Vergangenheit des Klunkers.
Unter dem Stein wand sich jemand verstohlen.
»Falls Ihr damit zum Ende gekommen seid, o Nachsichtiger, wäre es mir dann vielleicht gestattet, meinen Weg fortzusetzen? Wenn ich die Botschaften zu spät überbringe, straft man mich mit dem Glühheißen Stichel.«
»Meinetwegen.« Es ist nicht unüblich, unbedeutende Kobolde, die einem über den Weg laufen, einfach aufzufressen, aber das war nun wirklich nicht mein Stil. 46
( Außerdem hätte ich dann beim Fliegen Seitenstechen bekommen.)
Ich stand auf und rollte den Stein weg. Ein papierdünner Bote faltete sich mehrfach zusammen und rappelte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf.
»Hier hast du deine Briefe. Keine Bange, ich habe nichts daran verändert.«
»Und wenn schon, das geht mich nichts an, o Glorreicher Meteor des Ostens. Ich bin bloß für die Beförderung zuständig. Von dem, was drinsteht, hab ich keinen Dunst.« Kaum war er aus seiner Notlage befreit, war der Kobold schon wieder obenauf.
»Erzähl niemandem von unserem kleinen Rendezvous, sonst warte ich bei deinem nächsten Ausflug auf dich«, warnte ich ihn.
»Glaubst du, ich will Ärger kriegen? Nich die Bohne. Wenn das Verhör jetzt erledigt is, verzieh ich mich.«
Mit ein paar matten Schlägen seiner ledernen Flügel erhob sich der Kobold in die Luft und verschwand über den Baumwipfeln. Ich ließ ihm einige Sekunden Vorsprung, dann verwandelte ich mich wieder in eine Taube und flatterte ebenfalls davon, südwärts über den menschenleeren Park zur fernen Piccadilly-Straße.
17
Pinns Ausstattungen gehörte zu jenen Geschäften, in die sich nur die ganz Reichen oder die ganz Mutigen hineinwagen. Es befand sich in Bestlage an der Ecke Duke Street und Piccadilly und sah aus wie ein Palast, den ein von Dschinn betriebenes Abrissunternehmen dorthin befördert und anschließend in die Lücke zwischen zwei tristen Gebäuden eingepasst hatte. Die festlich erleuchteten Schaufenster und kannelierten vergoldeten Säulen hoben sich von den Zauberer-Buchhandlungen und Lachs-und-Kaviar-Läden ab, die den breiten grauen Boulevard säumten. Sogar aus der Vogelperspektive sprang das Geschäft durch seine raffinierte Eleganz schon von weitem ins Auge.
Beim Landen musste ich höllisch aufpassen, denn die meisten Simse waren mit spitzen Stacheln besetzt oder mit klebrigem Leim bestrichen, um nichtsnutzige Tauben wie mich fern zu halten, doch schließlich ließ ich mich auf einem Straßenschild nieder, von dem aus ich den Laden bequem ausbaldowern konnte.
Jedes einzelne Schaufenster huldigte der heimlichen Prunksucht und dem schlechten Geschmack der Zauberer. Edelsteinbesetzte Zauberstäbe drehten sich auf samtbezogenen Podesten, riesige Vergrößerungsgläser schwebten vor Tabletts mit glitzernden Ringen und funkelnden Armbändern, mechanische Schaufensterpuppen zuckten mit abgehackten Bewegungen in todschicken italienischen Anzügen mit Diamantnadeln am Revers. Auf dem Bürgersteig davor schlenderten einfache Feld-, Wald-und Wiesenzauberer in ihrer schäbigen Arbeitskluft vorbei, warfen begehrliche Blicke in die Auslagen und schlurften, von Ruhm und Wohlstand träumend, weiter. Nur wenige Nichtmagier waren zu sehen. Es war keine Gegend für Gewöhnliche.
Durch eins der Fenster
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