Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand
ganzen Welt… Sogar von weitem empfand Nathanael glühende Bewunderung. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als hinzugehen, den Premierminister aus der Nähe zu sehen und zu hören, was er sagte. Er spürte, dass es dem ganzen Saal genauso erging, dass sich unter der Oberfläche jedes Gesprächs die Aufmerksamkeit aller Beteiligten nur auf diesen einen Mann richtete. Doch noch während Nathanael hinüberstarrte, wurde das Gedränge dichter und entzog die schlanke, drahtige Gestalt seinen Blicken.
Nur widerwillig wandte sich Nathanael ab. Bekümmert nahm er einen Schluck von seiner Limonade – und erstarrte.
Am Fuß der Treppe standen zwei Zauberer. Sie waren fast die einzigen Anwesenden, die von dem Trubel um den Premierminister keine Notiz nahmen und stattdessen die Köpfe zusammensteckten und sich angeregt unterhielten. Nathanael atmete tief durch. Er kannte die beiden, sehr gut sogar, denn nach jenem demütigenden Vorfall im vergangenen Jahr hatten sich ihm ihre Gesichter unauslöschlich eingeprägt. Der Alte mit dem roten, runzligen Gesicht war noch verhutzelter und gebeugter als damals und neben ihm stand der Jüngere mit dem fischigen Gesicht. Das strähnige Haar reichte ihm bis über den Kragen. Lovelace’ Freunde. Wo sie waren, konnte Lovelace nicht weit sein.
Nathanael spürte ein unangenehmes Prickeln im Magen, ein Schwächegefühl, das ihm überhaupt nicht behagte. Er fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Nur die Ruhe. Es gab keinen Grund, Angst zu haben. Lovelace hatte keinerlei Anlass, das Verschwinden des Amuletts mit ihm in Verbindung zu bringen, selbst wenn sie einander im Lauf des Abends irgendwann gegenüberstehen sollten. Seine Kundschafter konnten die Aura des Amuletts nur wahrnehmen, wenn sie Underwoods Haus durchsuchten. Ihm konnte nichts passieren. Im Gegenteil, er sollte wie jeder gute Zauberer die Gelegenheit beim Schopf fassen. Wenn er näher an seine Feinde heranschlich, konnte er vielleicht verstehen, worüber sie sich unterhielten.
Er schaute sich um. Mrs Underwood achtete nicht auf ihn. Sie plauderte mit einem kleinen, untersetzten Herrn und brach gerade in schallendes Gelächter aus. Nathanael schlängelte sich durch die Menge und hielt auf die Treppe zu, neben der die beiden Zauberer standen.
Auf halbem Weg bemerkte er, wie sich der Alte mitten im Satz unterbrach und zur Galerie hinaufsah. Nathanael folgte seinem Blick. Ihm stockte das Herz.
Dort oben stand er – Simon Lovelace, mit erhitztem Gesicht und außer Atem. Offenbar war er eben erst gekommen. Hastig streifte er den Mantel ab und warf ihn einem Diener zu, dann strich er sich über das Revers und eilte die Treppe hinunter. Er sah noch genauso aus, wie ihn Nathanael in Erinnerung hatte: die Brille, das mit Gel zurückgekämmte Haar, die energischen Bewegungen, der breite Mund, der jedes Mal, wenn ihn jemand begrüßte, ein Lächeln an-und sofort wieder ausknipste. Er kam mit forschem Schritt die Stufen herunter, verschmähte den dargebotenen Champagner und gesellte sich unverzüglich zu seinen Freunden.
Nathanael legte einen Schritt zu und erreichte das geschwungene Treppengeländer, das in einen geschnitzten Sockel auslief, auf dem eine Marmorvase thronte. Rechts hinter der Vase erspähte er den Hinterkopf des Fischigen, links das Jackett des Alten. Lovelace selbst war soeben zu den beiden gestoßen, befand sich aber außerhalb von Nathanaels Gesichtsfeld.
Die Vase schützte ihn davor, selbst gesehen zu werden. Er schob sich noch ein paar Schritte näher heran und lehnte sich in, wie er hoffte, einigermaßen lässiger Haltung an den geschnitzten Sockel. Dann spitzte er die Ohren, um die Stimmen der drei Zauberer aus dem allgemeinen Stimmengewirr herauszufiltern.
Lovelace sagte gerade in schroffem, gereiztem Ton: »…bis jetzt noch kein Glück gehabt. Ich habe alles versucht. Keins der Wesen, die ich beschworen habe, konnte mir sagen, wer dahinter steckt.«
»Tja, offenbar hast du bloß deine Zeit verplempert.« Das war der schwere Akzent des Alten. »Woher sollen die anderen Dämonen das schließlich auch wissen?«
»Es ist nicht meine Art, etwas unversucht zu lassen. Aber du hast Recht. Auch die Suchkugeln haben nichts gebracht. Vielleicht müssen wir unsere Vorgehensweise ändern. Hast du meine Nachricht erhalten? Ich finde, wir sollten die Sache abblasen.«
»Abblasen?« Eine dritte Stimme, vermutlich die des Fischigen.
»Ich kann immer noch dem Mädchen die Schuld geben.«
»Ich halte das
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