Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand
nicht für klug.« Der Alte sprach so leise, dass ihn Nathanael kaum verstehen konnte. »Wenn du die Sache jetzt absagst, ist Devereaux erst recht schlecht auf dich zu sprechen. Wo du ihm nun schon den Mund wässrig gemacht hast mit all den netten kleinen Annehmlichkeiten, die ihn erwarten. Nein, Simon, wir müssen gute Miene zum bösen Spiel machen. Such weiter. Wir haben noch ein paar Tage. Vielleicht taucht es doch noch auf.«
»Wenn das alles umsonst war, bin ich ruiniert! Ihr habt ja keine Ahnung, was diese Räumlichkeiten kosten!«
»Beruhige dich. Du redest zu laut.«
»Tut mir Leid. Aber wisst ihr, was mich rasend macht? Derjenige ist garantiert hier, irgendwo im Saal, beobachtet mich und lacht sich ins Fäustchen… Wenn ich rauskriege, wer das war, dann…«
»Nicht so laut, Lovelace!«, zischte der Fischige wieder.
»Vielleicht sollten wir lieber woanders hingehen, wo wir ungestört sind, Simon…«
Nathanael zuckte hinter seinem Sockel zusammen, als hätte er einen elektrischen Schlag bekommen. Die drei Zauberer setzten sich in Bewegung. Es wäre nicht sehr günstig, hier von ihnen gestellt zu werden.
Rasch verließ Nathanael seinen Horchposten und verzog sich ein paar Schritte ins Gedränge. Als er weit genug weg war, drehte er sich um. Lovelace und seine Freunde hatten sich kaum von der Stelle gerührt. Eine ältere Zauberin war zu ihnen getreten und sprach eifrig auf sie ein
– zum sichtlichen Missvergnügen des Trios.
Nathanael nahm einen Schluck aus seinem Glas und sammelte sich. Er hatte nicht alles verstanden, was die drei geredet hatten, doch Lovelace war erfreulich wütend gewesen. Um mehr herauszufinden, müsste er Bartimäus herbeizitieren. Vielleicht war der Dämon sogar ganz in der Nähe, Lovelace auf den Fersen… Die Linsen verrieten zwar nichts, doch der Dschinn hätte ohnehin auf den ersten vier Ebenen seine Erscheinung verändert. Hinter jedem der scheinbar so gediegenen Gäste konnte sich ein Dämon verbergen.
Er blieb eine Weile gedankenverloren am Rand einer kleinen Gruppe Zauberer stehen. Nur allmählich sickerte ihre Unterhaltung in sein Bewusstsein.
»…ein so gut aussehender Mann. Ist er in festen Händen?«
»Simon Lovelace? Doch, da gibt es eine Frau, aber mir fällt ihr Name nicht ein.«
»Lass bloß die Finger von dem, Devina. Er ist nicht mehr der große Zampano wie früher.«
»Aber er hat doch die Konferenz nächste Woche organisiert… Und er sieht wirklich blendend aus…«
»Dafür musste er Devereaux auch lange genug in den Hintern kriechen. Nein, mit dem geht es bergab. Der PM hat ihn kaltgestellt. Lovelace hat sich schon vor einem Jahr um das Innenministerium bemüht, aber Duvall hat es verhindert. Er kann Lovelace nicht ausstehen, frag mich nicht, wieso.«
»Das da neben Lovelace ist doch der alte Schyler, stimmt’s? Wen oder was hat der denn beschworen, dass sein Gesicht so aussieht? Dagegen ist ja jeder Kobold eine Schönheit!«
»Ich muss schon sagen, für einen Minister umgibt sich Lovelace mit merkwürdigen Freunden. Und wer ist der schmierige Kerl daneben?«
»Das ist Lime, glaube ich. Landwirtschaft.«
»Aalglatter Typ…«
»Wo soll diese Konferenz überhaupt stattfinden?«
»An irgendeinem gottverlassenen Ort außerhalb von London.«
»O nein! Wirklich? Wie entsetzlich langweilig. Wahrscheinlich riecht
es dort auch noch nach Kuhstall.«
»Tja, wenn es der PM nun mal so haben möchte…«
»Grässlich.«
»Trotzdem, er sieht so gut aus…«
»John…«
»Du bist eine dumme Gans, Devina. Ach übrigens, wo er wohl den Anzug herhat?«
»John!«
Wie aus dem Boden gewachsen, stand plötzlich Mrs Underwood mit gerötetem Gesicht – vielleicht aufgrund der Hitze im Saal – vor Nathanael und packte ihn am Arm. »John, ich rufe schon die ganze Zeit nach dir! Gleich hält Mr Devereaux seine Rede. Wir müssen nach hinten. Hier vorne ist für Minister reserviert. Komm schnell!«
Sie wichen zur Seite, als die anderen Gäste in unbeirrbarem Herdentrieb und mit klappernden Absätzen und raschelnden Gewändern nach vorn zu einem kleinen, mit purpurrotem Stoff drapierten Podium drängten, das man aus einem Nebenraum hereingerollt hatte. In dem allgemeinen Geschiebe wurden Nathanael und Mrs Underwood hin-und hergeschubst, bis sie schließlich ganz hinten am Rand der Menge neben den Terrassentüren standen. Die Zahl der Gäste war seit ihrer Ankunft beträchtlich gestiegen. Nathanael schätzte, dass sich inzwischen mehrere hundert Leute im
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