Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand
stöhnte auf. Auch das noch! Den Krötenkobold konnte er im Schlaf beschwören, doch sein Meister verlangte bestimmt, dass er jede Rune und jeden Satz doppelt und dreifach überprüfte, womit sich die Prozedur über Stunden hinziehen konnte. Darauf konnte er dankend verzichten. Was war der Alte doch für ein Dummkopf!
Nathanael machte sich auf den Weg zur Bibliothek, stürmte die Dachbodentreppe hinunter und stieß prompt mit seinem Meister zusammen, der gerade auf dem Weg nach oben war.
Underwood taumelte gegen die Wand und hielt sich die Ausbuchtung seiner Weste, wo er schmerzhaft mit Nathanaels Ellbogen aneinander geraten war. Mit einem Wutschrei holte er zu einer Ohrfeige aus.
»Du Flegel! Ich hätte mir das Genick brechen können!«
»Tut mir Leid, Sir! Ich hatte nicht damit gerechnet…«
»Die Treppe runterzurasen wie ein Trampeltier, wie ein hirnloser Gewöhnlicher! Ein Zauberer bewahrt stets Haltung. Wieso hast du es eigentlich so eilig, zum Kuckuck?«
»Tut mir schrecklich Leid, Sir…« Nathanael erholte sich langsam von seinem Schreck und sagte mit lammfrommer Stimme: »Ich wollte nur mal kurz in die Bibliothek, um vor unserer Beschwörung heute Nachmittag noch etwas nachzuschlagen. Tut mir Leid, dass ich so ungeduldig war….«
Seine Unterwürfigkeit verfehlte ihre Wirkung nicht. Underwood atmete schwer, doch seine Miene wurde milder. »Na ja, wenn dich tatsächlich der Lerneifer umgetrieben hat, kann ich dir wohl kaum böse sein. Eigentlich wollte ich dir gerade mitteilen, dass ich heute Nachmittag leider außer Haus bin. Es ist etwas Ernstes vorgefallen, und ich muss…« Er unterbrach sich. Seine Augenbrauen zuckten und zogen sich zusammen. »Wonach riecht es hier?«
»Sir?«
»Dieser Geruch… der kommt von dir, Junge.« Er beugte sich vor und schnüffelte geräuschvoll.
»Ich… tut mir Leid, Sir, ich habe heute Morgen vergessen, mich zu waschen. Mrs Underwood hat mich auch schon darauf angesprochen.«
»Ich rede nicht von deinem Körpergeruch, Junge, auch wenn du ganz schön müffelst. Nein, es riecht eher nach… Rosmarin… Genau! Und Lorbeer… und Johanniskraut…« Seine Augen weiteten sich und er blitzte seinen Gehilfen an. »Du riechst nach Beschwörung!«
»Nein, Sir…«
»Wag es nicht, mir zu widersprechen, Junge! Wie kann…?« Sein Blick wurde misstrauisch. »Zeig mir sofort dein Zimmer, John Mandrake! Geh voran, ich komme hinterher!«
»Lieber nicht‚ Sir… es ist schrecklich unaufgeräumt. Es ist mir peinlich…«
Sein Meister richtete sich hoch auf. Seine Augen funkelten und sein angesengter Bart sträubte sich. Er kam Nathanael irgendwie größer vor als sonst, auch wenn die Tatsache, dass er eine Stufe höher stand, bestimmt zu diesem Eindruck beitrug. Nathanael duckte sich unwillkürlich und wich zurück.
Underwood wies mit ausgestrecktem Zeigefinger nach oben. »Geh!«
Nathanael blieb nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Dicht gefolgt von den schweren Schritten seines Meisters, ging er schweigend voraus. Als er seine Zimmertür öffnete, schlug ihm der unverwechselbare, strenge Geruch von Räucherwerk und Kerzenwachs entgegen. Nathanael trat wie ein begossener Pudel beiseite, als sein Meister gebückt die niedrige Kammer betrat.
Underwood blickte sich um. Was er sah, war durchaus aufschlussreich: Auf dem Boden lag ein umgekippter Tiegel, aus dem sich buntes Räucherwerk ergoss, entlang der Wände und auf dem Schreibtisch standen dutzende noch glimmender Beschwörungskerzen und auf dem Bett lagen aufgeschlagen zwei dicke Zauberbücher aus seinem Privatbestand. Nur die Pentagramme selbst sah er nicht, die waren unter dem Teppich verborgen. Nathanael hoffte, dass ihn dieser Umstand vielleicht rettete. Er räusperte sich.
»Ich kann Ihnen alles erklären, Sir.«
Sein Meister ignorierte ihn. Er trat einen Schritt vor, schlug mit der Schuhspitze eine Teppichecke zurück und enthüllte den Zacken eines Pentagramms und eine Runenzeile. Der Zauberer bückte sich, packte den Teppich und zog ihn mit einem kräftigen Ruck weg, sodass die ganze Zeichnung sichtbar wurde. Er überflog die Schrift, dann wandte er sich mit finsterem Gesicht wieder nach seinem Gehilfen um.
»Ich höre!«
Nathanael schluckte. Er wusste, dass ihm Ausreden jetzt nichts mehr halfen, trotzdem versuchte er es. »Ich habe bloß ein bisschen geübt, damit ich mich nachher nicht verschreibe, Sir«, begann er mit schwankender Stimme. »Damit ich ein besseres Gefühl dafür kriege. Natürlich habe
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