Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand
ich nichts damit beschworen, Sir. So was würde mir nicht im Traum einfallen…«
Er kam ins Stottern und brach ab. Der Zauberer zeigte mit der einen Hand in die Mitte des größeren Kreises, wo von Bartimäus’ erstem Erscheinen ein unübersehbarer Brandfleck zurückgeblieben war, mit der anderen wies er auf die zahlreichen Rußspuren an den Wänden, die an die Explosion des Aufpeitschenden Zirkels erinnerten. Nathanael ließ die Schultern hängen.
»Ähm…«
Einen Augenblick schien es, als verlöre nunmehr Mr Underwood die Haltung. Sein Gesicht wurde fleckig vor Zorn. Mit zwei raschen Schritten stand er vor Nathanael und hob die Hand, als wollte er ihn schlagen. Nathanael zuckte zusammen, doch der Schlag kam nicht.
Die Hand sank herab. »Nein«, sagte sein Meister schwer atmend. »Nein. Ich muss mir reiflich überlegen, wie ich mit dir verfahren soll. Du hast dich über alle meine Vorschriften hinweggesetzt! Du hast dein eigenes Leben und das der anderen Bewohner dieses Hauses aufs Spiel gesetzt. Du hast magische Schriften zu Rate gezogen, die weit über deinen Horizont gehen – ich sehe hier Doktor Faustens Zauberhandbuch und Das Vermächtnis des Ptolemäus! Du hast zumindest versucht, einen Dschinn der vierzehnten Ebene oder noch höher zu beschwören, und hast sogar probiert, ihn mit Adelbrands Pentagramm zu bannen, ein Unterfangen, vor dem sogar ich zurückscheuen würde! Die Tatsache, dass es dir offenbar misslungen ist, mildert deine verbrecherischen Absichten keineswegs. Du dummer Junge! Weißt du denn nicht, was dir so ein Wesen antun kann, wenn dir auch nur der kleinste Fehler unterläuft? War denn mein Unterricht völlig umsonst? Ich hätte schon letztes Jahr merken müssen, dass du unzuverlässig bist, als mich dein mutwilliger Anschlag auf meine Gäste beinahe meinen Posten gekostet hätte. Ich hätte mich schon damals von dir trennen sollen, als du noch unbenannt warst. Niemand hätte nach dir gefragt! Aber jetzt, da du einen Namen hast und in der nächsten Ausgabe des Almanachs aufgeführt bist, werde ich dich nicht mehr so einfach los! Man würde mir Fragen stellen, ich müsste Formulare ausfüllen und man würde wieder einmal mein Urteilsvermögen anzweifeln. Nein, ich muss mir erst genau überlegen, was ich mit dir anfangen soll, obwohl es mich in den Fingern juckt, auf der Stelle einen Schmäher zu beschwören und dich in seine liebevolle Obhut zu geben.«
Er musste Luft holen. Nathanael sank kraftlos auf die Bettkante.
»Eins kannst du mir glauben«, fuhr sein Meister fort, »noch nie hat sich einer meiner anderen Gehilfen so aufgeführt! Wenn ich nicht dringend ins Ministerium müsste, würde ich dich sofort bestrafen. Fürs Erste bekommst du Stubenarrest, bis ich wieder da bin. Aber vorher«, er stapfte zu Nathanaels Kleiderschrank und riss die Tür auf, »wollen wir doch mal nachsehen, ob du hier noch andere Überraschungen versteckt hast.«
In den folgenden zehn Minuten konnte Nathanael nur teilnahmslos dasitzen und zusehen, wie sein Meister das Zimmer durchsuchte. Er durchwühlte Schrank und Kommode und warf Nathanaels bescheidene Garderobe auf den Boden. Er fand etliche Plastiktüten mit Räucherwerk, einen kleinen Vorrat bunter Kreide und ein paar Notizblöcke, die Nathanael bei seinen außerplanmäßigen Studien voll geschrieben hatte. Lediglich der Zauberspiegel, der sorgsam verwahrt in seinem Versteck unter den Dachziegeln lag, blieb unentdeckt.
Mr Underwood konfiszierte Räucherwerk, Bücher, Kreide und Notizen. »Wenn ich vom Ministerium zurück bin, lese ich mir dein Gekritzel durch«, sagte er, »für den Fall, dass ich dich noch weiter verhören muss, bevor du deine verdiente Strafe bekommst. In der Zwischenzeit bleibst du hier und denkst über deine Missetaten und das Ende deiner beruflichen Laufbahn nach.« Damit rauschte er hinaus und sperrte die Tür hinter sich ab.
Nathanaels Herz war wie ein Stein, der auf den Grund eines tiefen, dunklen Brunnens sinkt. Er saß regungslos auf dem Bett und lauschte dem trommelnden Regen auf dem Dachfenster und dem Türenschlagen in den unteren Stockwerken, wo sein Meister wütend durch alle Zimmer tobte. Schließlich verriet ihm ein dumpfer Knall, dass Mr Underwood das Haus verlassen hatte.
Irgendwann rüttelte ihn das Geräusch eines Schlüssels aus seiner Verzweiflung auf. Sofort rutschte ihm das Herz in die Hose. War sein Meister etwa schon zurück…?
Aber es war nur Mrs Underwood, die ihm auf einem Tablett einen kleinen Napf
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