Bartimäus 02 - Das Auge des Golem
überall sonst war der Stoff verdächtig eingesunken. An manchen Stellen hatten fleißige Maden die Verwesung unterstützt; dort schimmerte es weiß durch den Stoff. Der Tote trug kleine, schmale schwarze Schuhe mit einer zusätzlichen Staubpatina auf dem matten Leder.
Der Leichnam ruhte auf einem mit roten Seidenkissen gepolsterten Podest, das jedoch nur die halbe Sargbreite einnahm. Während Kittys Blick noch auf der Goldmaske verweilte, nahmen die anderen den etwas tiefer gelegenen, rundherum verlaufenden Absatz in Augenschein.
»Wie das strahlt!«, keuchte Anne. »Unglaublich!«
»Wir nehmen einfach alles mit«, schlug Stanley mit dümmlichem Grienen vor. »So ’ne Aura hab ich ja noch nie erlebt. Da muss was Supermächtiges dabei sein, aber das ganze Zeug hier is nicht ohne – sogar der Umhang!«
Über die Knie des Toten war ein ordentlich zusammengefaltetes Kleidungsstück in Schwarz und Purpur mit einer kleinen goldenen Anstecknadel daran gebreitet. »Der Reichsmantel«, flüsterte Mr Pennyfeather. »Den wollte doch unser Freund und Gönner mitgebracht haben. Von mir aus gern. Seht euch bloß an, was da unten noch alles liegt…«
Da war er, der ersehnte Schatz, rings um den erhöhten Leichnam aufgeschichtet: kleine Tierfiguren, verzierte Schatullen, juwelenbesetzte Schwerter und Dolche, ein Satz schwarze Onyxkugeln, der kleine, dreieckige Schädel eines unbekannten Wesens, mehrere versiegelte Schriftrollen. In Kopfnähe des Toten lag etwas Kleines, Gewölbtes, das mit einem schwarzen, inzwischen staubgrauen Tuch zugedeckt war, wahrscheinlich die Kristallkugel, mit der man in die Zukunft sehen konnte. Am Fußende stand zwischen einem Fläschchen mit einem hundekopfähnlichen Stöpsel und einem stumpfen Zinnbecher ein Glaskasten mit einer seidenen Geldbörse und daneben ein kleiner schwarzer, mit einer Bronzeschnalle verschlossener Beutel. Dicht neben dem Toten lag ein Zeremonienschwert, das so lang war wie der ganze Sarg, und daneben ein Stab aus geschwärztem Holz, schlicht und schmucklos, abgesehen von dem Pentagramm, das ins obere Ende geschnitzt war.
Obwohl sie nicht die gleichen Fähigkeiten besaß wie die anderen, spürte auch Kitty, was für eine Kraft diese Ansammlung von Grabbei-gaben ausstrahlte. Die Luft flimmerte geradezu.
Mr Pennyfeather gab sich einen Ruck. »Dann wollen wir mal. Taschen auf! Wir nehmen alles mit.« Er blickte auf die Uhr und rief erstaunt aus: »Schon fast eins! Wir sind viel zu spät dran! Anne, du zuerst!«
Er beugte sich über den Rand des Sarkophags und griff mit beiden Händen hinein. »Hier. Die sind aus Ägypten, wenn mich nicht alles täuscht… Jetzt kommt der Geldbeutel… Pass doch auf! Ganz vorsichtig! Rucksack voll? Gut. Stanley, jetzt du…«
Während der Sarg geplündert wurde, stand Kitty mit offenem Rucksack untätig abseits. Sie spürte wieder das Unbehagen, das sie bei der Entdeckung der Leichen befallen hatte. Die ganze Zeit musste sie zwischen der falschen Mauer und der Treppe zum Ausgang hin und her schauen und es überlief sie heiß und kalt vor lauter Schreckensbildern. Dazu kam ein immer heftigerer Widerwille gegen das, was in dieser Nacht ablief. Noch nie hatte ihr Ziel – der brennende Wunsch, die Zauberer zu stürzen und die Gewöhnlichen wieder an der Macht zu sehen – in so krassem Gegensatz zu dem gestanden, was sie mit der Gruppe erlebte. Es war ernüchternd und abstoßend: die nackte Gier ihrer Gefährten, ihr aufgeregtes Geschrei, Mr Pennyfeathers gerötetes, verschwitztes Gesicht, das leise Klirren, mit dem die gestohlenen Kostbarkeiten in den aufgehaltenen Rucksäcken verschwanden… alles ging ihr furchtbar gegen den Strich. Die Widerstandsbewegung war kaum besser als eine Bande von Dieben und Grabschändern… und sie gehörte dazu.
»Kitty! Komm her!«
Stanley und Nick hatten sich die Rucksäcke voll gestopft und traten beiseite. Kitty war an der Reihe. Sie kam näher. Mr Pennyfeather beugte sich jetzt so weit vor, dass Kopf und Schultern im Sarg verschwanden. Er richtete sich auf, reichte ihr hastig eine kleine Aschenurne und ein anderes, mit einem Schlangenkopf verziertes Gefäß, bevor er wieder abtauchte. »Hier, nimm den Umhang… und den Stab auch. Das ist beides für Mr Hopkins’ Bekannten, der uns… uff! …so gut beraten hat. Ich reiche von hier aus nicht zur anderen Seite. Stanley, machst du das bitte?«
Kitty nahm den Stab entgegen und stopfte den Umhang zuunterst in ihren Rucksack, wobei sie ein wenig vor dem
Weitere Kostenlose Bücher