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Bartimäus 02 - Das Auge des Golem

Titel: Bartimäus 02 - Das Auge des Golem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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Geschöpf und die langen Knochenfinger griffen nach einer fallen gelassenen Laterne neben dem Sarg. Die hielt es wie ein Nachtwächter hoch und betrachtete bei ihrem Schein in aller Seelenruhe die entsetzten Gesichter. Wenn sich der Schädel bewegte, knirschten die Halswirbel, und die goldene Totenmaske blinkte matt in ihrem Rahmen aus langem weißem Haar.
    »Na schön.« Die Stimme hinter der Maske veränderte sich mit jeder Silbe, war einmal hell wie eine Kinderstimme, dann wieder tief und heiser, manchmal wie von einem Mann, manchmal wie von einer Frau, dann wieder knurrte sie wie ein wildes Tier. Entweder konnte sich der Sprecher nicht entscheiden oder aber er liebte die Abwechslung. »Na schön«, sagte er, »wen haben wir denn da? Fünf Verirrte sitzen tief unter der Erde fest und wissen nicht ein noch aus… Wie heißt ihr denn, wenn man fragen darf?«
    Kitty, Fred und Nick blieben auf halbem Weg zur Gittertür wie angewurzelt stehen. Mr Pennyfeather drückte sich an die Wand unter dem Sims mit den Kränzen. Anne war der Treppe am nächsten, lag aber am Boden und schluchzte tonlos vor sich hin. Keiner brachte ein Wort heraus.
    »Ich muss doch sehr bitten!« Die Goldmaske legte sich schief. »Ich versuche bloß, nett zu sein. Was, finde ich, ausgesprochen entgegenkommend von mir ist, wenn man bedenkt, dass ich eben erst aufgewacht bin und einen feixenden Flegel mit einer viel zu großen Mütze dabei ertappen muss, dass er in meinen Sachen rumwühlt. Schlimmer noch, seht euch an, in welchem Zustand mein Beerdigungsanzug ist! Der dumme Kerl hat ihn mit seinem Gegrabsche total ruiniert. Die Jugend von heute, ich muss schon sagen! Wobei mir einfällt: Welches Jahr haben wir eigentlich? Du da, Mädchen! Die nicht rumquäkt. Antworte gefälligst!«
    Kitty konnte kaum sprechen, so einen trockenen Mund hatte sie. Die Maske nickte. »Hab mir schon gedacht, dass es lange her ist. Wie ich da draufkomme? Wegen der Langeweile, denkt ihr jetzt bestimmt. Da liegt ihr nicht ganz falsch. Aber auch wegen der Schmerzen! Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie weh das tut! Es war so scheußlich, dass ich gar nicht richtig nachdenken konnte, vor lauter Qual und Einsamkeit, und obendrein hört man die ganze Zeit die Würmer schmatzen! Ein weniger patenter Bursche als ich wäre garantiert verrückt geworden. Aber ich nicht! Das mit den Schmerzen hat sich schon seit Jahren erledigt und alles andere habe ich eben ertragen. Aber jetzt, wo es endlich ein bisschen heller ist und ich auch noch jemanden zum Plaudern habe, geht’s mir richtig prima!« Das Gerippe schnippte mit den Knochenfingern und vollführte ein Tänzchen. »Bin noch ein bisschen steif, kein Wunder, so ganz ohne Sehnen, aber das gibt sich. Alle Knochen noch da, alle an ihrem Platz? Jawoll! Alle Schätze noch da? Nein? So, so…« Die Stimme fuhr versonnen fort: »Da sind wohl ein paar Mäuslein gekommen und haben sie weggehext! Unartige Mäuslein… Die schnapp ich beim Schwanz und rupf ihnen die Barthaare aus!«
    Kitty hatte unterdessen unauffällig die Hand in den Rucksack geschoben und tastete unter dem Umhang und den anderen Dingen nach ihrer Elementenkugel. Sie hatte sie gefunden und hielt sie fest umklammert in der schweißnassen Hand. Fred, der neben ihr stand, versuchte das Gleiche, aber nicht so geschickt, und Kitty fürchtete, dass sein Gekrame dem Gerippe auffallen würde. Deshalb erwiderte sie eher zur Ablenkung denn aus Überzeugung, dass es etwas nützen könnte:
    »Bitte, Mr Gladstone, Sir… Wir haben Ihre Sachen in unseren Rucksäcken und legen auch alles wieder zurück, wenn Sie das wollen.«
    Mit hässlichem Knirschen drehte sich der Schädel um 180 Grad und schaute hinter sich. Da er dort nichts entdeckte, neigte er sich verwirrt und drehte sich wieder nach vorn. »Mit wem redest du eigentlich, kleines Mädchen?«, fragte er. »Mit mir?«
    »Äh… ja. Ich dachte…«
    »Ich soll Mr Gladstone sein? Bist du übergeschnappt oder mit dem Klammerbeutel gepudert?«
    »Ich…«
    »Siehst du die Hand hier?« Fünf Knochenfinger reckten sich ins Licht und zappelten auf dem knubbeligen Handgelenk. »Siehst du dieses Becken? Siehst du diesen Brustkorb?« Bei jeder Frage zupften die Finger an dem vermoderten Stoff, bis die vergilbten Knochen einen Augenblick bloßlagen. »Und dieses Gesicht?« Die Goldmaske wurde beiseite geschoben und Kitty erspähte einen Totenschädel mit geblecktem Gebiss und leeren Augenhöhlen. »Mal ehrlich, kleines Mädchen, hat Mr

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