Bartimäus 03 - Die Pforte des Magiers
durch.
Ihr fiel etwas ein. Sie hob den Kopf, sah an sich herunter und stellte verärgert fest, dass sie zu lang war. Ihre Füße ragten aus dem inneren Kreis. Das mochte unwichtig sein, aber vielleicht spielte es doch eine Rolle. Kitty drehte sich auf die Seite und zog die Beine an, als läge sie zu Hause im Bett. Ein letzter prüfender Blick – sie war so weit.
Aber wofür? Mit einem Mal stürmten Zweifel auf sie ein. Was sie hier veranstaltete, war bloß wieder eine der kindischen Fantastereien, über die sich Bartimäus lustig gemacht hatte. Glaubte sie im Ernst, ausgerechnet ihr werde etwas gelingen, was weit Berufenere zweitausend Jahre lang vergeblich versucht hatten? Was bildete sie sich ein? Sie war nicht mal Zauberin!
Andererseits konnte gerade das ein Pluspunkt sein. Bartimäus hatte sie unmissverständlich aufgefordert, es zu versuchen. Was hatte er doch gleich über sie und Mandrake gesagt, bevor er verschwunden war? »In gewisser Weise sind wir Verbündete, aber jetzt ist die Grenze erst einmal erreicht.« Das konnte doch nur als indirekte Aufforderung gemeint sein, und zwar ausdrücklich an sie gerichtet. Ptolemäus hatte sich nicht um Grenzen geschert, er hatte sich an den Anderen Ort begeben, indem er alle magischen Traditionen über den Haufen geworfen und auf den Kopf gestellt hatte. Um es ihm nachzumachen, genügten Grundkenntnisse in Beschwörungstechnik, seine Anweisungen in den »Apokryphen« waren klipp und klar. Vor allem musste man am Schluss der Formel den Dämon beim Namen rufen. Das war weiter kein Kunststück. Blieb die Frage, ob es die gewünschte Wirkung erzielte.
Um das herauszufinden, gab es nur eine Möglichkeit.
Kitty schloss die Augen und versuchte, sich zu entspannen. Es war ganz still im Zimmer. Von draußen drang kein Laut mehr herein. Sollte sie anfangen? Nein, etwas stimmte immer noch nicht. Aber was? Dann fiel ihr auf, dass sie den Schlüssel so fest umklammerte, dass er ihr in die Handfläche schnitt. Daran merkte sie, welche Angst sie trotz allem hatte. Sie zwang sich, den Griff zu lockern, bis der Schlüssel lose in ihrer Hand lag. So war es besser.
Ihr kam in den Sinn, wie Fachleute den Anderen Ort beschrieben hatten: Dort regiert das Chaos, eine Brutstätte unvorstellbarer Scheußlichkeiten, eine Kloake des Wahnsinns. Das konnte ja heiter werden. »Wer sich dorthin begibt, riskiert Leib und Seele«, hatte Mr Button im Brustton der Überzeugung verkündet. O Gott, was würde dort mit ihr geschehen? Würde sie sich auflösen oder verbrennen? Würde sie mit ansehen müssen, wie…? Was für ein Anblick sich ihr auch bieten würde, es konnte kaum abscheulicher sein als Nouda und seine abstoßenden Zwitterwesen, die Dämonen in Menschengestalt. Obendrein hatte keiner der Zauberer, auf deren Auskünfte sich Mr Button berief, den Anderen Ort leibhaftig aufgesucht, ihre Aussagen waren reine Vermutungen. Ptolemäus hatte die Prozedur schließlich auch überstanden.
Kitty ging noch einmal in Gedanken den Wortlaut der umgekehrten Beschwörung durch, dann rezitierte sie die Formel laut, denn je länger sie wartete, desto übermächtiger wurden ihre Befürchtungen. Alles ging gut, sie hatte den Namen des Dämons durch ihren eigenen ersetzt und die üblichen Verben vertauscht. Sie beschloss die Beschwörung, indem sie Bartimäus beim Namen rief. Drei Mal.
So.
Sie lag in dem stillen Zimmer.
Nichts geschah. Kitty kämpfte die aufkeimende Enttäuschung nieder. Bloß nicht ungeduldig werden. Auch bei herkömmlichen Beschwörungen dauerte es eine Weile, bis die Worte am Anderen Ort eintrafen. Sie lauschte, obwohl sie selbst nicht recht wusste, worauf. Hinter ihren geschlossenen Lidern war es dunkel, nur ab und zu glitt ein heller Fleck vorbei, der nachträgliche Widerschein der Deckenlampe.
Immer noch nichts. Offenbar hatte es nicht geklappt. Kitty fühlte sich leer und war ein bisschen traurig. Sie erwog aufzustehen, aber im Zimmer war es warm, sie lag bequem und war nach den aufwühlenden Erlebnissen dieses Abends froh, sich ein wenig ausruhen zu können. Ihre Gedanken schweiften ab, sie dachte an ihre Eltern und daran, was sie wohl gerade machten, inwiefern sie von den Ereignissen betroffen wären, wie wohl Jakob im fernen Brügge darauf reagieren würde und ob Nathanael die Feuersbrunst im Saal überlebt hatte. Hoffentlich.
Dann hörte sie es leise läuten. Vielleicht stellten die Dämonen irgendeinen Unfug an oder irgendwelche Überlebenden schlugen Alarm.
Nathanael
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