Bartimäus 04 - Der Ring des Salomo
sonnenheißen Sanddünen verschwammen mit dem Horizont. Die Sonne selbst war ein gleißender Schlund im eisengrauen Himmel. Sie schmolz die Luft zu kleinen Kristallen zusammen, die tanzten und flirrten und niemals stillstanden.
Jedes Mal, wenn sie während des endlosen Wüstenritts eindöste, wurde Asmira von Träumen heimgesucht, die wie in endlosen Schleifen immer wiederkehrten und sie plagten wie umherwirbelnde Sandkörnchen. Im Traum saß sie wieder im Gemach der Königin von Saba und die Königin schenkte ihr lächelnd Wein nach. Sie stand wieder bei den Priesterinnen im Palasthof, der Dschinn war beschworen und wartete, und alle Blicke ruhten auf ihr, als sie sich verabschiedete. Sie kniete vor der Ostwand im Sonnentempel, an der die Statuen toter Heldinnen aufgestellt waren, und die Statue ihrer Mutter glänzte wunderschön in der Morgensonne. Sie betrachtete die leere Nische daneben, nach der sie sich so lange gesehnt hatte.
Und manchmal… manchmal sah sie das Bild ihrer Mutter vor sich, wie es sich ihr vor elf Jahren unauslöschlich eingeprägt hatte.
Am Abend machte die Karawane im Schutz eines Sandsteinfelsens halt. Man sammelte Reisig und entzündete ein Feuer. Der Karawanenführer, der etwas von Zauberei verstand, schickte Kobolde aus, die sich zwischen den Felsen umschauen und Alarm schlagen sollten, sobald Gefahr im Anzug war.
Danach kam der Karawanenführer zu Asmira, die am Feuer saß und in die Flammen schaute. »So, so – immer noch dabei«, sagte er.
Asmira war müde, zerschlagen und zermürbt von Ungeduld, aber sie rang sich ein Lächeln ab. »Was sonst?«
Der Karawanenführer war ein beleibter Mann mit lustigen Augen und breiter Brust. Asmira fand seine Nähe ein wenig beunruhigend. Er lachte. »Ich vergewissere mich jede Nacht, ob meine Mitreisenden noch Menschen sind oder ob sie sich womöglich in Ghule oder Doppelgänger verwandelt haben! Man erzählt sich, einmal sei ein Karawanenführer mit dreißig Kaufleuten im Gefolge nach Petra hineingeritten. Als sie durchs Stadttor kamen, fielen die Umhänge der Reiter einer nach dem anderen leer zu Boden, und als der Karawanenführer sich umdrehte, war die Straße hinter ihm meilenweit mit säuberlich abgenagten Knochen übersät. Alle dreißig Kaufleute waren gefressen worden, einer nach dem anderen!«
Asmira kannte die Geschichte, weil die Ehemaligen sie ihr erzählt hatten, nur ging es in ihrer Version um einen Kaufmann aus Marib. »Das ist doch bloß ein Märchen«, sagte sie.
Der Anführer zog seinen Dschinnfänger hervor und ließ die Silberglöckchen klingeln. »Man muss trotzdem auf der Hut sein. Die Wüste birgt viele Gefahren. Hier kommt es oft vor, dass der äußere Anschein trügt.«
Asmira schaute zum Mond empor. Die schmale Sichel stand hell leuchtend über dem Felsen. Ihr Magen krampfte sich zusammen. »Wir sind heute gut vorangekommen«, sagte sie. »Ob wir Jerusalem wohl morgen erreichen?«
Der Karawanenführer rückte den breiten Gürtel über seinem dicken Bauch zurecht und schüttelte den Kopf. »Frühestens übermorgen, wenn nichts dazwischenkommt. Aber ab morgen Abend ist es nicht mehr gefährlich, dann sind wir schon in der Nähe der Stadt. Unter den Augen des fürsorglichen, gütigen Königs Salomo wird uns kein Wüstendämon überfallen.«
Asmira schaute in die Flammen und sah wieder den Turm von Marib brennen. Der Knoten in ihrem Magen löste sich. »Fürsorglich und gütig?«, sagte sie unwirsch. »Das passt aber gar nicht zu dem, was ich über Salomo gehört habe.«
»Ach nein?« Der Karawanenführer zog die Augenbraue hoch. »Was hast du denn gehört?«
»Dass er ein Tyrann ist, der unterlegene Völker unterdrückt!«
»Nun ja, über ihn sind mancherlei Geschichten im Umlauf«, räumte der Karawanenführer ein, »und ich gebe gern zu, dass sie nicht alle für den König sprechen. Aber du wirst in unserer Karawane etliche Reisende antreffen, die ganz anderer Meinung sind als du. Sie wollen nach Jerusalem, weil sie Salomo um Unterstützung oder um einen gerechten Schiedsspruch in einer kniffligen Rechtsstreitigkeit bitten wollen. Du glaubst mir nicht? Dann frag doch selbst herum!«
»Mal sehen.«
Als die Nacht anbrach und die Flammen hoch emporloderten, kam Asmira mit einem Mitreisenden ins Gespräch. Er war Gewürzhändler und unterwegs nach Tyros, ein bärtiger junger Mann von ruhigem, höflichem Wesen. »Ihr seid sehr still junge Frau«, sagte er. »Auf der ganzen Reise habt Ihr kaum ein Wort
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