Bartimäus 04 - Der Ring des Salomo
ausgestrecktem Zeigefinger. Die dunklen Punkte am Abendhimmel kamen rasch näher.
Asmira
18
O hne den Hinweis des Dschinn hätte Asmira die Punkte vielleicht für einen Vogelschwarm gehalten. Aber dieser Irrtum hätte sich bald aufgeklärt, denn die Punkte – es waren sieben an der Zahl, wovon einer größer als die übrigen war –, die in dichter Formation hoch über den Sanddünen flogen, wurden rasch größer. Bald erkannte Asmira das farbige Leuchten um sie herum und den flimmernden Hitzeschweif, den sie hinter sich herzogen.
Sie gingen in den Sinkflug und hielten auf den Hohlweg zu. Asmira sah nun, dass es sich bei dem Leuchten um Stichflammen handelte, die im schwindenden Tageslicht golden züngelten – nur das größte Flugobjekt war und blieb kohlrabenschwarz. Asmira konnte inzwischen das Brausen ihrer Schwingen hören, das zu ohrenbetäubender Lautstärke anschwoll. Als Kind hatte sie einmal vom Palastdach aus zugesehen, wie ein Heuschreckenschwarm auf die Feuchtwiesen vor der Stadt niedergegangen war. Dieses Brausen hier klang genauso und war ebenso beunruhigend. Die Formation flog jetzt unterhalb der Felskuppen und folgte dem Straßenverlauf. Hinter ihr stieg der aufgewirbelte Sand in Wolken an den Felshängen hoch und erfüllte bald die ganze Schlucht. Asmira konnte sechs Dämonen ausmachen, geflügelt, aber sonst in Menschengestalt. Das siebte Flugobjekt war ein Teppich, den ein weiterer Dämon hinter sich herzog. Auf dem Teppich saß ein Mann.
Asmira schaute ihm und seinem Hofstaat entgegen und ließ die beiläufige Zurschaustellung seiner Macht auf sich wirken. »Das kann nur Salomo selbst sein…«, sagte sie im Flüsterton.
»Daneben«, brummelte der Dschinn Bartimäus. »Darfst noch mal raten. Das ist nur einer von Salomos siebzehn Meisterzauberern, wenn auch vielleicht der fähigste. Er heißt Khaba. Ich warne dich noch einmal: Nimm dich vor ihm in Acht.«
Der Sand stob auf, der Wind heulte, schillernde Schwingen verlangsamten ihre Schläge. Sechs Dämonen verharrten kurz in der Luft und landeten sodann leichtfüßig auf der Straße. Der siebte in der Mitte ließ den Teppich auf die kräftigen, ausgebreiteten Arme gleiten, dann bückte er sich tief, ging rückwärts und ließ den Teppich ein paar Fuß über dem Boden in der Luft schweben.
Asmira betrachtete die schweigenden Dämonen der Reihe nach. Es waren Riesen, bestimmt sieben oder acht Fuß groß. Bis auf den Dämonen namens Faquarl (der eigensinnig auf seiner untersetzten, stiernackigen, fülligen Gestalt beharrte) waren sie allesamt muskulös, durchtrainiert und dunkelhäutig. Sie bewegten sich anmutig und flink und waren sich ihrer übernatürlichen Kräfte bewusst, wie niedere Götter, die sich auf der Erde austoben durften. Ihre goldfarbenen Augen in den ebenmäßigen Gesichtern leuchteten im Dämmerlicht der Schlucht.
»Lass dich nicht blenden«, sagte Bartimäus sachlich. »Die meisten sind strohdumm.«
Der Mann auf dem Teppich rührte sich nicht. Er saß im Schneidersitz da und hatte die mageren, bleichen Hände im Schoß gefaltet. Seinen Kapuzenumhang hatte er zum Schutz gegen die Kälte in großer Flughöhe eng um sich gezogen. Das Gesicht lag im Schatten der Kapuze, über die Beine hatte er eine Decke aus dickem schwarzen Fell gelegt. Jetzt regte er sich endlich. Er schnippte mit den Fingern, aus der Kapuze ertönte ein Befehl. Der Teppich sank zu Boden. Der Mann schüttelte die Decke ab und sprang blitzschnell auf. Dann trat er von seinem Teppich und ging mit langen Schritten auf Asmira zu. Seine Leibwache wartete schweigend hinter ihm.
Die bleichen Hände streiften die Kapuze ab, ein breites Lächeln begrüßte Asmira.
Asmira fand den Zauberer fast noch beunruhigender als seine Dämonen. Wie im Traum sah sie zwei große, feucht schimmernde Augen, aschfahle, von tiefen Narben überzogene Wangen und Lippen, die trotz des Lächelns schmal und gespannt wie Darmsaiten blieben.
»Seid mir gegrüßt, Priesterin«, sagte der Zauberer sanft. »Ich bin Khaba, Salomos Diener. Welche Sorgen und Nöte Euch auch geplagt haben mögen, von nun an steht Ihr unter meinem Schutz.«
Er neigte den kahlen Kopf. Asmira verneigte sich ebenfalls. Dann entgegnete sie: »Ich bin Cyrine, Sonnenpriesterin aus dem Lande Himjar.«
»Das hat mir mein Sklave schon berichtet.« Khaba drehte sich nicht um. Asmira fiel auf, dass der korpulente Dschinn die Arme verschränkte und sie argwöhnisch beobachtete. »Tut mir leid, dass ich Euch
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