Bartimäus 04 - Der Ring des Salomo
Sklaven, und die ewigen Sterne funkelten gleichmütig auf uns herab. 59
Der Mond stieg höher und die Betriebsamkeit auf den Straßen Jerusalems legte sich. Da die Stadttore längst geschlossen waren, machten auch die Abendmärkte dicht; die Jerusalemer gingen nach Hause, um im Schlaf neue Kräfte zu sammeln. Öllampen flackerten in den Fenstern, Salomos Koboldlichter erleuchteten jeden Winkel und das von Dunkelheit durchbrochene Mosaik der Kochfeuer auf den Dächern sandte den Duft von Lammfleisch, Knoblauch und geschmorten Linsen aus, was alles in allem entschieden besser roch als verkokeltes Kamel.
Hoch oben auf Khabas Turm hatten die Kobolde endlich aufgehört zu johlen, zu klatschen und mit den Schwänzen nach mir zu peitschen. Die Gesellschaft überlegte gerade, ob man sich anderen Themen wie zum Beispiel dem Einfluss der Religion auf die Regionalpolitik der östlichen Mittelmeeranrainer zuwenden sollte, als in unserer Mitte auf einmal ein gewisses unanständiges Geräusch ertönte.
»Nimschik, hast du dich schon wieder an den eingelegten Stechlingen vergriffen?«
»Das war ich nicht!«
Er hatte ausnahmsweise nicht gelogen, denn jetzt öffnete sich mitten auf dem Dach eine Steinluke. In der Öffnung darunter erschienen ein funkelndes Augenpaar, eine Nase wie eine unreife Aubergine sowie der hässliche Oberkörper des Foliot Gezeri. Er blinzelte boshaft in die Runde.
»Bartimäus und Faquarl!«, rief er. »Hopp, hopp! Ihr werdet gebraucht.«
Keiner von uns beiden rührte sich. »Wo denn?«, fragte ich. »Und von wem?«
»Von Seiner Königlichen Majestät König Salomo dem Großen, von wem sonst?« Der Foliot stützte die knochigen Ellbogen aufs Dach. »Er lädt euch in seine Privatgemächer ein, weil er euch persönlich für eure heutige Leistung danken will.«
Faquarl und ich setzten uns aufrecht hin. »Ehrlich?«
»Natürlich nicht, ihr Dummköpfe!«, höhnte der Foliot. »Warum sollte sich Salomo ausgerechnet um euch beide scheren? Euer Herr, Khaba der Grausame, verlangt nach euch. Was habt ihr denn gedacht? Außerdem«, fuhr er munter fort, »sollt ihr nicht in die Beschwörungskammer kommen, sondern in die Kellergruft unter dem Turm! Tja, das gibt euch zu denken, was?« Er grinste anzüglich. »Von dort unten kommen nicht viele wieder herauf.«
Bedrückende Stille senkte sich über das Dach. Faquarl und ich wechselten einen Blick. Die anderen Dschinn, die sich entsetzt ausmalten, was das bedeutete, und zugleich heilfroh waren, dass es nicht sie erwischt hatte, betrachteten ihre Klauen, schauten zum Sternenhimmel empor oder kratzten eifrig das Moos aus den Fugen der Bodenfliesen. Unseren Blicken wichen sie geflissentlich aus.
»Worauf wartet ihr noch?«, rief Gezeri. »Marsch, marsch!« Faquarl und ich standen auf, schlüpften unbeholfen durch die Öffnung und stiegen so zügig wie zwei Verbrecher, die zum Galgen schlurfen, die Wendeltreppe hinunter. Gezeri ließ die Steinluke wieder zufallen und um uns herum wurde es stockfinster.
Khabas Turm, einer der höchsten in Jerusalem, hatte viele Stockwerke. Außen war er weiß gekalkt und leuchtete an den meisten Tagen blendend hell, drinnen jedoch war er eher pfui als hui, dem Charakter des Zauberers entsprechend. Ich kannte bislang nur die Beschwörungskammer in einer der oberen Etagen, an der wir jetzt auch vorbeikamen. Ich ging vorneweg, dann kam Faquarl, und hinter Faquarl patschten Gezeris Plattfüße über die Stufen. Wir kamen an anderen Türen vorbei, dann an einem breiten Gang, der vermutlich zu dem ebenerdigen Ausgang führte, und danach ging es immer tiefer unter die Erde.
Faquarl und ich wechselten kaum ein Wort. Beide waren wir in Gedanken bei dem gefolterten Geist, den wir in Khabas Kugel erblickt hatten, einem gebrochenen Gefangenen, der im Kellergewölbe unter dem Turm schmachtete.
Ob wir ihm wohl bald Gesellschaft leisteten?
Mit gespielter Zuversicht sagte ich über die Schulter: »Keine Sorge, Faquarl! Das mit den Banditen haben wir einwandfrei hingekriegt. Das muss sogar Khaba einsehen.«
»Wenn mich jemand mit dir in einen Topf wirft, habe ich immer Anlass zur Sorge!«, brummte Faquarl. »Mehr sage ich dazu nicht.«
Immer weiter abwärts wand sich die Treppe, und trotz bester Vorsätze verabschiedete sich meine Zuversicht mit jedem Schritt. Vielleicht lag es an der säuerlich riechenden abgestandenen Luft, vielleicht an der Finsternis, vielleicht an den Kerzen in den abgehackten, mumifizierten Händen, die auf
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