Bartimäus 04 - Der Ring des Salomo
»diesen armseligen Foliot, der nichtsnutzig in seiner Wolke herumlungert, während du über Stock und Stein geschleift wirst. Da stimmt doch etwas nicht, Freund Ammet! Das ist völlig absurd und wir beide müssen etwas dagegen unternehmen.«
So schwierig es im Allgemeinen ist, die Miene eines gesichtslosen Wesens zu deuten, hatte ich doch den Eindruck, als hätte ich den Schatten tatsächlich zum Nachdenken gebracht. Mit wachsendem Selbstvertrauen schob ich mich an den Rand des Pentagramms, dem Schatten entgegen, fort von der Kristallflasche.
»Lass uns doch ganz offen über unsere gemeinsame Zwangslage reden«, beschloss ich meine Ansprache. »Wenn wir den genauen Wortlaut unseres Auftrags herausfinden, können wir ihn vielleicht außer Kraft setzen. Dann wäre ich gerettet, du wärst frei und es wäre zugleich das Ende unseres Herrn!«
Hier machte ich wieder eine Pause, und zwar nicht, weil ich außer Atem war (ich brauche nicht zu atmen), auch nicht, weil mir die Allgemeinplätze ausgegangen wären (ich verfüge über einen unerschöpflichen Vorrat), sondern, weil mich das beharrliche Schweigen des Schattens verunsicherte. Mein Vorschlag war durchaus vernünftig, trotzdem ging die hohe Gestalt nicht darauf ein und wiegte sich nur weiter hin und her.
Der gut aussehende junge Mann beugte sich vor. Meine Taktik lautete: »Ansteckend leidenschaftlich, kumpelhaft vertraulich plus ein Schuss idealistische Inbrunst.«
»Mein Freund Faquarl hat einen Leitspruch«, rief ich. »Nur vereint können wir Geister die Boshaftigkeit der Menschen besiegen. Danach wollen wir handeln, mein lieber Ammet! Lass uns gemeinsam nach einem Schlupfloch in unserer Beschwörung suchen. Ehe der Tag um ist, töten wir unseren Feind, brechen ihm die Knochen und schlürfen das Mark heraus!« 66
Mein Finale hallte zwischen den Säulen wider und ließ die Koboldlampen aufblinken. Der Schatten erwiderte immer noch nichts, aber er wurde dunkler, als verspürte er eine heftige Gemütsregung. Das konnte ein gutes Zeichen sein… oder aber fürchterlich nach hinten losgehen.
Ich trat wieder ein Stück zurück. »Vielleicht stehst du nicht so auf Knochenmark«, sagte ich rasch, »aber du teilst gewiss meine Einstellung. Komm schon, Ammet, Freund und Sklavenbruder, was sagst du dazu?«
Und jetzt, endlich, rührte sich der Schatten. Er wankte hinter dem Pult hervor und schwebte langsam auf mich zu.
»Ja…«, raunte er. »Ja, ich bin ein Sklave…«
Der gut aussehende junge Mann, der schon mächtig auf glühenden Kohlen gesessen hatte und sich das auf keinen Fall anmerken lassen wollte, atmete auf. »Richtig! So sieht’s aus! Und jetzt wollen wir…«
»Ich bin ein Sklave, der seinen Herrn liebt.«
Verblüffte Stille. »Entschuldige«, sagte ich dann, »das war ein bisschen sehr hauchig, ich habe dich nicht richtig verstanden. Ich dachte allen Ernstes, du hättest gesagt…«
»Ich liebe meinen Herrn.«
Jetzt war ich dran mit der Schweigemasche. Ich ging unauffällig einen Schritt rückwärts, dann noch einen, und der Schatten neigte sich zu mir herunter.
»Reden wir vom selben Herrn?«, ergriff ich schließlich wieder das Wort. »Von Khaba? Glatzköpfig, Ägypter, hässlich? Augen wie nasse Flecken auf einem schmutzigen Lumpen? Bestimmt nicht. Hoppla… anscheinend doch.«
Ein schlanker schwarzer, schleierartiger Arm streckte sich aus, lange spitze Finger packten mich an der Gurgel und hoben mich hoch. Der Marid drückte mir die Luft ab, bis mein Hals dünn wie ein Lotusstängel war und dem hübschen Jungen die Augen aus den Höhlen traten. Mein Kopf schwoll an und meine Füße wurden doppelt so dick.
Der Arm hob mich noch höher, bis ich auf Augenhöhe des Schattens baumelte. Khabas Abbild war wirklich sehr gelungen – Umriss, Haltung, einfach alles.
»Kleiner Dschinn«, raunte der Schatten, »ich will dir etwas über mich verraten.«
»Au ja«, krächzte ich. »Sei so gut.«
»Du musst wissen, dass ich dem lieben Khaba schon diente, als er noch ein blasser, schmächtiger Junge war und in den Grüften unter den Tempeln von Karnak Dienst tat. Ich war die erste große Wesenheit, die er beschworen hat, und zwar heimlich und entgegen den heiligen Vorschriften der Priesterschaft. 67 Ich war an seiner Seite, als er seine Fähigkeiten ausbaute und an Macht gewann, ich stand neben ihm, als er den Hohepriester Weneg vor dem Altar erdrosselte und den Zauberstein an sich nahm, den er heute noch besitzt. Schon als junger Mann war mein Herr in
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