Bartimäus 04 - Der Ring des Salomo
verwüsteten Schlucht gestanden hatte.
Am anderen Ende des Saales strebten inzwischen etliche von Salomos Gästen zu den Treppen, andere saßen immer noch bei Tisch und vertilgten die Reste des Festmahles. Die Zauberer an Asmiras Tafel rekelten sich in ihren Sesseln, redeten laut, tranken in langen Zügen…
Asmira betrachtete wieder die Flasche.
»Schaut sie Euch ruhig an!« Khaba beugte sich vor. »Das Wundersame, Unerklärliche zieht Euch an, nicht wahr? In meinem Turm verwahre ich noch viel mehr solcher Wunderdinge – die seltensten Stücke! Morgen dürft Ihr sie Euch anschauen!«
Sein stinkender Atem schlug Asmira entgegen. Sie musste sich zusammennehmen, um nicht zurückzuweichen. Lächelnd entgegnete sie: »Nanu – Euer Becher ist ja schon wieder leer! Darf ich Euch nachschenken?«
Bartimäus
23
W ie quälend langsam die Jahre doch vergehen, wenn man in eine Flasche gesperrt ist! Diese Erfahrung kann ich wirklich niemandem empfehlen. 69
Die Wirkung auf die Substanz ist verheerend. Zwar leidet unsere Substanz jedes Mal, wenn wir auf diese Erde gerufen werden, aber wenn wir nicht gar zu lange bleiben müssen und uns mit Raufereien und Schlachten ablenken können, mit Verfolgungsjagden und Wortgefechten, halten wir die Schmerzen einigermaßen in Schach, bis wir an den Anderen Ort zurückkehren und uns erholen dürfen. In einer länger andauernden Gefangenschaft entfällt das natürlich alles. Die Raufereien und Verfolgungsjagden halten sich in Grenzen, wenn man ganz allein in einem engen Behältnis hockt; da auch Wortgefechte zu den Betätigungen gehören, die man am besten in Gesellschaft pflegt, bleibt einem nicht viel anderes übrig, als umherzuwabern, zu grübeln und dem Zischeln der eigenen schrumpfenden Substanz zu lauschen, Faser um Faser, Fitzelchen um Fitzelchen. Leider hat der Unbeschränkte Bannzauber obendrein die Eigenschaft, diesen unschönen Vorgang in alle Ewigkeit auszudehnen, sodass einem nicht mal ein würdevoller Tod vergönnt ist. Khaba hatte die Strafe klug gewählt, sie war eines Erzfeindes wahrhaft würdig.
In der Flasche war ich von allem abgeschnitten. Ich verlor das Zeitgefühl, kein Laut drang zu mir herein. Manchmal huschten Lichter und Schatten über die Wände meines Kerkers, aber der mächtige Bannzauber in dem Bergkristall trübte meinen Blick, sodass alle Umrisse verschwommen blieben. 70
Was meine missliche Lage noch verschlimmerte, war der ursprüngliche Gebrauch der uralten Flasche als Behältnis für irgendein Duftöl, vielleicht die Pomade einer längst vermoderten Ägypterin. Es roch nicht nur nach Parfüm (Rosenholz mit einer Note von Limone, würde ich sagen), es war auch verflixt glitschig. Immer wenn ich der Abwechslung halber die Gestalt eines Skarabäus oder anderen Insekts annahm, rutschten meine Beinchen unter mir weg.
Darum behielt ich meinen natürlichen Zustand überwiegend bei, waberte umher, gab mich erhabenen und manchmal auch trüben Gedanken hin und schmierte nur hin und wieder unanständige Graffiti an die Innenwand der Flasche. Ich beschäftigte mich auch mit meiner Vergangenheit. Ich dachte an Faquarl und seine abfälligen Bemerkungen. Ich dachte an das Mädchen Cyrine, das beinahe meine Entlassung bewirkt hätte. An den fiesen Khaba – der inzwischen womöglich nur noch ein Häufchen morscher Knochen war – und seinen widerwärtigen Gehilfen Ammet, der durchaus noch irgendwo auf dieser unseligen Welt sein Unwesen treiben konnte. Vor allem dachte ich natürlich an den Frieden und die Schönheit meiner fernen Heimat und daran, ob ich sie je wiedersehen würde.
Und dann, nach ungezählten Ewigkeiten, als ich die Hoffnung längst aufgegeben hatte…
… ging die Flasche kaputt.
Eben noch war mein bauchiges Gefängnis fest versiegelt – im nächsten Augenblick zerbarsten die Wände in einem Regen kristallener Scherben. Eine Woge aus Tönen und Luft schlug über mir zusammen.
Ammets Bann überstand das Zerbrechen der Flasche nicht. Er dehnte sich und riss.
Ich war frei!
Meine Substanz erschauerte vor unbändiger Freude. Ich vergaß alle Schmerzen und alles Leid und zögerte nicht. Wie eine sich gen Himmel schwingende Lerche verließ ich die verhasste Erde, überwand die Elementenmauern, die sich mir bereitwillig auftaten, und tauchte in die herrliche Unendlichkeit ein.
Der Andere Ort hieß mich willkommen. Ich wurde viele, wo ich vorher nur einer gewesen war. Meine Substanz verströmte sich freudig, ich vereinte mich mit dem
Weitere Kostenlose Bücher