Bartimäus 04 - Der Ring des Salomo
ihre Stimme klang matt. Sie deutete mit dem Kinn auf die Kristallscherben am Boden. »Ich habe dich da rausgeholt.«
Der rothäutige Dämon nickte bedächtig. »Das stimmt… aber nur, damit du mich gleich wieder versklaven kannst!« Fahle Flammen züngelten aus dem Stoffstück, loderten hoch empor und verhüllten meine zornige Gestalt. »Hast du vergessen«, donnerte ich, »dass ich dir damals dein elendes kleines Leben gerettet habe?«
»Damals? Wieso damals?«
Meine Augen sprühten Funken, brennende Schwefelrinnsale tanzten über meine glänzende Haut. »Kannst du dir überhaupt vorstellen, welche Schmerzen und welches Leid ich so lange ertragen musste?«, brüllte ich. »Weißt du überhaupt, wie es ist, Jahre und Jahrzehnte in einem engen, luftlosen Kerker zu schmachten, während Sonne und Mond träge ihre Zyklen durchlaufen? Und jetzt, kaum dass ich von dieser nicht enden wollenden Qual erlöst bin, beschwörst du mich abermals, ohne auch nur…« Ich unterbrach mich, weil mir auffiel, dass die Kleine mit dem zarten Füßchen auf ihr Stoffstück tappte. »Wie lange war ich denn eigentlich in der Flasche?«
»Ein paar Stunden. Es ist jetzt kurz nach Mitternacht. Gestern Nachmittag haben wir zuletzt miteinander gesprochen.«
Der rothäutige Dämon starrte sie verdutzt an, meine Flammen erloschen. »Gestern Nachmittag? Du meinst den Nachmittag des Tages vor dem heutigen Tag?«
»Welchen denn sonst? Ja, ich meine den Nachmittag des Tages vor dem heutigen Tag. Sieh mich doch an. Ich trage immer noch dieselbe Kleidung.«
»Stimmt…« Ich räusperte mich. »Na ja, in so einer Flasche ist es nicht ganz einfach, auf dem Laufenden zu bleiben… Wie gesagt, es war ganz schön heftig.« Ich sprach wieder lauter. »Und ich will nicht schon wieder beschworen werden – weder von dir noch von sonst wem! Wenn dir dein Leben Heb ist, entlässt du mich auf der Stelle.«
»Das geht leider nicht.«
»Überleg’s dir gut!«, fauchte ich. »Du kannst mich sowieso nicht lange halten. Man merkt sofort, dass du noch neu in dem Geschäft bist.«
Die Augen der Kleinen blitzten. Zwar sprühten sie keine Flammen, aber doch beinahe.
»Wisse, Bartimäus von Uruk«, rief sie schrill, »dass ich in meinem Land im Tempel von Marib eine Eingeweihte der Achtzehnten Stufe bin! Wisse zweitens, dass ich seinerzeit die Dämonin Sufra beschworen und mittels magischer Peitschenhiebe gezwungen habe, in einer einzigen Nacht das Staubecken in Dhamar auszuheben! Wisse drittens, dass ich schon zwölf Dutzend Dämonen gleichzeitig befehligt und neun davon in die innerste Grube geworfen habe!« Sie strich sich eine Strähne aus der Stirn und lächelte grimmig. »Und mach dir viertens und zu guter Letzt klar, dass ich nun deine Herrin bin.«
Der rothäutige Dämon lachte gackernd. »Netter Versuch«, sagte ich. »Leider spricht dreierlei gegen deine Behauptungen. Erstens: ›Eingeweihte der Achtzehnten Stufe im Tempel von Marib‹ – dass ich nicht lache! Soweit ich weiß, bedeutet das, dass du berechtigt bist, die Latrinen zu schrubben.«
Das Mädchen zeterte empört, aber ich ging nicht darauf ein. »Zweitens«, fuhr ich fort, »lässt dein Tonfall zu wünschen übrig. Du möchtest Ehrfurcht gebietend und einschüchternd klingen, stimmt’s? Tut mir leid, aber du hast dich eher zaghaft und verkniffen angehört, sodass ich schon dachte, du leidest unter Verstopfung. Drittens ist das alles ausgemachter Schwachsinn! Du hast ja kaum die Auftaktformel 73 ohne Stottern über die Lippen gebracht. Die Beschwörung hat derart lange gedauert, dass ich schon dachte, du wolltest dich selber versklaven. Jetzt mal ehrlich! Das ist doch alles ein riesengroßer Bluff.«
Die Kleine war ganz blass um die Nase geworden. »Gar nicht!«
»Doch!«
»Nein!«
»Wenn du noch schriller kreischst, geht die hübsche Vase da drüben kaputt.« Ich verschränkte die schuppigen Arme und funkelte die Kleine drohend an. »Außerdem bestätigst du meine Vermutung gerade schon wieder! Was glaubst du wohl, wie viele richtige Zauberer sich in solche kindischen Wortgefechte verwickeln lassen? Sie hätten mir schon längst einen Schwarzen Schrubber übergezogen und fertig.«
Das Mädchen war aschfahl im Gesicht. Sie brachte kein Wort mehr heraus.
»Du weißt nicht mal, was ein Schwarzer Schrubber ist, was?«, sagte ich grinsend.
Sie holte tief Luft. »Nein. Dafür kenne ich mich hiermit aus.« Sie umfasste die silberne Sonnenscheibe, die sie um den Hals trug, und brabbelte
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