Bartstoppelkuesse
Mönckebergstraße und Eppendorf, leer gekauft hatte.
Wir hatten uns in Bars, in denen Live-Musik gespielt wurde, herum getrieben und Cocktails vernascht. Ich hatte von dem vielen Alkohol einen Schädel, der bei jeder Drehung, bei jeder winzigen Bewegung, einen stechenden Schmerz in den Augäpfeln verursachte.
Ich kam nur widerwillig zu mir.
Es war still in der Wohnung, das erste Mal seit eineinhalb Monaten. Frauen und Männer sollten nicht zusammen leben. Es passte einfach nicht. Wir sprachen eine unterschiedliche Sprache. Männer waren schwierig, intolerant und wickelten uns um den kleinen Finger, nachdem sie uns flachgelegt hatten. Und wenn Frau mal Stress hatte im Job und keine Lust auf sie, dann hieß es gleich: Du liebst mich nicht mehr!
Jetzt war mal Schicht im Schacht!
Eins war klar, Weihnachten alleine war öde. Fünfundachtzig Prozent der Deutschen feierten Weihnachten mit der Familie oder dem Partner. Den einzigen Partner, den ich hatte, war ein vernetzter Baum auf meinem Balkon. Im TV machten sie gerade Werbung für Muttis neuen Wok mit chinesischer Gebrauchsanleitung und einen Mumienschlafsack für den Großvater. Coke hatte schon wieder einen neuen Weihnachtssong im MTV. Eine Sekunde lang überlegte ich, ob ich zu meinen Eltern nach Berlin fahren sollte. Das hatte nach drei Jahren gewollter Abstinenz aber auch nicht wirklich etwas.
Bevor mich nun die Endzeitstimmung ganz zu packen bekam, verkrümelte ich mich ins Tonstudio und begann Songtexte zu schreiben, was mir trotz Brummschädel unheimlich Spaß machte.
Dann fing Erwin mit Telefonterror an. Alles hatte die Folgen einer verhängnisvollen Affäre. Er warf mir vor, dass ich ihn mit der Hundemasche ganz bewusst in mein Bett gelockt hätte.
Das konnte ich nun wirklich nicht auf Kiki sitzen lassen!
Daraufhin schrie er in den Hörer, dass er seine multiplen Orgasmen mit Spucke nur vorgetäuscht hätte.
„Ich auch!“, brüllte ich zurück.
Einen Tag später n ahm sein Rachefeldzug einen verheerenden Lauf. Erwin hatte offensichtlich den ersten Zorn über den Rausschmiss verrauchen lassen und in seinem kranken Hirn die Gegenoffensive umsichtig geplant. Er hatte Kressesamen auf meinem neuen Teppich verstreut, der drei Tage später mein ganzes Wohnzimmer begrünte.
Das war eine Schweinerei. Erwin wusste genau, wie sehr ich grün hasste!
Passend zum vierten Advent waren sämtliche Reifen meines Käfers zerstochen und ich hatte drei Pakete vom Beate Uhse-Versand erhalten, die ich nicht bestellt hatte. Seine Auswahl war famos: vom Gleitgel bis hin zum Sexspielzeug war alles dabei. Das Zurückschicken kostete Zeit und... Überwindung!
Am Montag dann stand schließlich ein Mitarbeiter des Beerdigungsinstitutes vor der Türe und wollte sich um die sterblichen Überreste von Scarlett Meier ohne Ypsilon kümmern.
Ich fuhr mit der Bahn zu ihm nach Winterhude in seine Zweitwohnung und wollte Tacheles mit Erwin reden. Nachdem ich seine Wohnungstüre fast eingeschlagen hätte und einen tierischen Aufstand im Treppenhaus verursachte, erfuhr ich von seiner Nachbarin, dass der Herr Orthopäde ausgezogen sei, ganz überraschend. Nur noch sein Namensschild war übrig geblieben. In seiner Praxis tat vor Weihnachten und zwischen den Jahren eine Vertretung Dienst und man konnte oder wollte mir nicht sagen, wann Erwin wieder nach Hamburg zurückkam. Ich war von ihm fasziniert gewesen, weil er so ein intensives Interesse an mir gehabt hatte und so fürsorglich gewesen war. Später gingen mir seine besitzergreifende Art und seine Kontrollanrufe auf die Nerven.
Ich hoffte, das Thema war damit durch und ich würde ihn nie wieder sehen!
Einen Tag vor Heiligabend legte ich meine Arbeit nieder und entschloss mi ch, doch Weihnachten zu feiern! Ich packte den vernetzen Tannenkörper aus, der mittlerweile die Hälfte seiner Nadeln auf meinem Balkon ausgespuckt hatte. Riechen tat er noch nach Tanne, ja.
Nun gab es in meine m gut durchorganisierten Frauenhaushalt natürlich keine Weihnachtskugeln oder Lametta. Zuletzt hatte ich vor drei Jahren bei meinen Eltern Weihnachten gefeiert. Ansonsten war meine Bude weihnachtsfreie Zone. Also brachte ich aus dem Tonstudio schwarze, silberne und goldene CDs mit, machte Ketten aus Penne Hartweizengrieß und schmückte das Teil. Ich machte mich auf den Weg durch das Viertel, schaute mir die dekorierten Fenster und die dekorierten Bordsteinschwalben an und mir kamen Sprüche von früher, wie Advent, Advent, du hast
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