Bartstoppelkuesse
entzückend, mitreißend, ja fast hypnotisch. Ich griente von einem Ohr zum anderen und fragte ihn, warum ich ihn noch nie hier gesehen hatte. Erwin war neu in Hamburg und hatte gerade, man höre und staune , eine orthopädische Praxis aufgemacht.
Wir kamen aus dem Lachen nicht mehr heraus.
„Na, dann gehöre ich ja bald zu deinem potentiellen Kundenstamm!“
Kiki und ich liefen eine Weile gemeinsam mit ihm, was ohne weitere Zwischenfälle im Bereich der Extremitäten abging. Danach brachte ich ihn mit meinem Käfer zu seiner Wohnung nach Winterhude. Die Einladung zum Kaffee schlug ich dankend aus.
Nicht mit mir! Erstens hatte ich dazu gelernt und machte mich lieber etwas unnahbar. Und zweitens hatte er bestimmt seine Umzugskartons noch nicht ausgepackt, wenn er neu in der Stadt war. IKEA kam mir in den Sinn. Holzauge sei wachsam!
Ich reichte Erwin meine Visitenkarte und sprang in meinen Wagen.
Nun wartete ich Tag für Tag, dass er anrief. Ich war doch bekloppt.
Lernte ich denn gar nichts dazu? Der Mann für mich musste erst noch gebacken werden. Wahrscheinlich hatte Erwin jede Menge mit der Einrichtung seiner Praxis zu tun, vielleicht war er liiert oder ihm war einfach nur der Kaffee ausgegangen. Ich fuhr nach Winterhude.
Zwei Stunden lang lag ich auf der Lauer, bis er endlich erschien. Er stieg aus einem silberfarbenen SL, der von einer toughen Business tussi im dunkelblauen Geschäftskostümchen geparkt wurde. Sie war bestimmt eine aus der Kategorie, die sich zusätzlich zum Gehalt einen Firmenwagen erschlafen hatte. Die war später bestimmt auch in der Lage, pädagogisch wertvoll die Fleckenzwerge wegzuzaubern! Die Blondine fuchtelte mit den Armen wild in der Luft herum und gab Erwin einen Kuss auf die Wange. Er blieb stehen und wartete, bis die Zicke mit quietschenden Reifen weg bretterte. Wenn Erwin auf so was stand, war er es eh nicht wert.
Ich ging in den Blumenladen zwei Eingänge weiter und erstand - einen Kaktus!
Er blühte immerhin, rosa.
Erwin war erfreut mich zu sehen, zumindest nahm er mich in die Arme und drückte mich. Dabei piekste ihm der Kaktus in die Brust und Erwin sprang wie von der Tarantel gestochen von mir weg.
„Sorry, ein kleines Mitbringsel von mir!“
Er rieb sich die Brust und lachte: „Na ja, ziemlich stachelig, dein Mitbringsel.“
Nachdem er den Kaktus auf seiner Fensterbank untergebracht hatte, kochte er einen Kaffee und stellte mir seine Katze vor.
„Wo hast du denn Kiki gelassen?“, wollte Erwin wissen.
„Kiki ist bei ihrer Besitzer in. „Abe isch doch gar keinen Hund, Senior!“
Ich schaute seine Katze an und fragte: „Ein Butterbrot landet doch immer auf der Butterseite. Eine Katze landet immer auf den Pfoten. Was passiert eigentlich, wenn man einer Katze Butter auf den Rücken schmiert?“
Erwin kringelte sich vor Lachen und die Katze schenkte mir einen bösen Blick.
Mir lag auf der Zunge, ihn nach der SL-Fahrerin zu fragen, aber ich schluckte es lieber runter. Stattdessen lud ich ihn zum Essen ein und abends gingen wir gemeinsam unsere Gassirunde mit Kiki durch St. Pauli. Dabei erfuhr ich dann, dass die SL-Fahrerin seine Schwester war, die ihn aus Bremen kurz besucht hatte und ihm von einem neuen Job erzählte und deswegen total aufgeregt gewesen war.
Ich wusste doch gleich, dass die Tussi eigentlich ganz nett war!
Unterschätze nie die Macht eines Mannes!
Im Oktober zeigte ich Erwin Hamburg.
Wir gingen auf den Kiez ins Imperial-Theater, probierten im Ponchitos leckere Tapas, lachten im Schmidts Tivoli und gruselten uns gemeinsam in der Speicherstadt im Hamburg Dungeon. Zwischendurch klärten wir noch, welche Farbe ein Schlumpf bekommt, wenn man ihn würgt und ob Analphabeten genauso viel Spaß an einer Buchstabensuppe hatten, wie wir beide. Die Arbeit litt ein wenig unter diesen Exkursionen, aber ich konnte meine Auftraggeber mit meinem unnachahmlichen Charme von der Qualität meiner Arbeit überzeugen und von der Tatsache, dass gut Ding Weile haben will. Erwins Praxis schien in Winterhude ganz gut anzulaufen, zumindest berichtete er mir nichts Gegenteiliges. Nach drei Wochen fragte er mich, ob wir uns das Gassi gehen mit Kiki nicht schenken wollten und stattdessen mal einen schönen kuscheligen Abend mit CDs und Rotwein machen wollten. Wir gingen zu mir, weil Erwins Katze mich wegen der Nummer mit der Butter immer noch nicht mochte und kuschelten uns auf dem Sofa ein. Bei Kerzenschein hörten wir Songs von Neil Young und Leonhard Cohen,
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