Bartstoppelkuesse
Liebe vor die Nase, die er in allen Einzelheiten beschrieb. Schlank war sie, attraktiv, beruflich erfolgreich und allein erziehend.
Nun war Weihnachten. Dreieinhalb Jahre später.
Dieser verdammte Hund! Er hatte ein gutes Händchen für effektvolles Timing.
Ich ging in die Küche und holte mir ein Glas Wasser. Draußen auf meinem Balkon fing es an zu schneien. Ich schluckte. Der Schmerz war immer noch da...
Weiß der Henker, wie er an meine Adresse gekommen war. Aber nun ja, ich war im Internet mit meinem Impressum für das Tonstudio vertreten.
Ich sollte sie einfach z erreißen, diese dusseligen Weihnachtsgrüße. Mit einem Ritschratsch war doch alles weg! Wahrscheinlich war er sentimental geworden und hatte allen seinen Verflossenen denselben Müll geschickt. Denn heute war ich mir sicher, dass die Düsseldorferin und ich nicht seine einzigen Affären gewesen waren. Männer sind eben per se nicht monogam.
Aber ich konnte die Karte und sein Bild nicht zerreißen. In meinem Kopf rotierten Bilder, purzelten Gedanken durcheinander. Ich hatte ihn ganz verdrängt, er war nicht mehr da gewesen. Und nun reichte eine einzige Karte aus, um meinen Herzschlag in die Schläfen springen zu lassen.
Verdammt... verdammt, verdammt!!
War ich bescheuert? Es war alles so lange her. Wer weiß, was in der Zwischenzeit geschehen war. Vermutlich war seine Beziehung zu dieser Düsseldorferin in die Brüche gegangen und er hatte meinen Namen in seinem dusseligen Handheld wieder gefunden.
Ich hatte nichts von ihm aufbewahrt. Keine seiner Nummern, weder seine Firmenanschrift noch seine GMX-Adresse. Kein Bild, keine Mail, kein Geschenk, nicht einmal die gepresste Lilie hatte ich zwischen den Seiten von Verdammt in alle Ewigkeit geduldet.
Und nun schrieb er, dass er in der Vergangenheit so oft an mich gedacht hatte, wie es mir wohl ging und so.
Und so…
Was sollte das alles? Wie es mir ergangen war. Konnte er überhaupt begreifen, dass ich eine Zeit lang tot war? Gedemütigt hatte er mich und nun schrieb er mit einer nicht zu überbietenden Nonchalance von seinen Gedanken an mich. Erinnerungen kamen mir hoch...
...wir mussten lachen.
Wir standen einfach da in dieser verrückten Nacht, sahen durch das geschlossene Gitter des zugigen Parkhauses und lachten. Neben uns stand eine Frau mit einem quengelnden Kind und sprach aufgeregt: „Was tun wir denn jetzt? Ich muss doch nach Hause?“
„Mama, ich bin müde und ich habe Durst!“
Das Mädchen fing an zu weinen und wir lachten.
Ich fiel Tom um den Hals und unsere Körper, unsere Bäuche wackelten, mein e Tränen liefen auf seinen Hemdkragen.
„Tom, hör auf…“, sagte ich keuchend. „Du musst doch auch irgendwie an dein Auto ran. Du musst morgen früh in Frankfurt sein.“
Er funkelte mich an mit diesem Blick, der mich verrückt machte und zuckte leichtsinnig mit den Schultern.
„Dann muss ich hier sitzen bleiben, bis jemand kommt und aufschließt. Ach, schau mal, da ist eine Notfallnummer.“
Das Mädchen fing doller an zu weinen und Tom zückte sein Handy. In dem Moment kam ein Mann mit einer Kunststoffkarte in der Hand aus Richtung der Bürohäuser und rettete uns.
Das Gitter rollte hoch und wir rannten lachend hinein, um den Wagen zu holen.
„Also, eins ist sicher, ma Petite, solche Sachen passieren mir immer nur mit dir. Was zum Teufel ist denn das für ein Parkhaus hier?“
Tom lachte und küsste mich. „Das Erlebnis werde ich nicht so schnell vergessen.“...
Ach nein, war es ihm wieder eingefallen? Wie oft hatte er in den letzten drei Jahren daran gedacht? An all die Augenblicke, in denen wir gelacht oder uns geküsst hatten. Die Fahrten vorbei an Alleebäumen, in denen wir schweigend nebeneinander saßen, weil der Abschied nahte. Oder die Stunde, die er im Hauptbahnhof oben auf der Galerie stehen geblieben war und auf die Schienen gestarrt hatte, obwohl ich schon längst weg war. Das war das erste Mal gewesen, dass er mir gesagt hatte, dass er mich liebt.
Ich konnte diese Gedanken nicht mehr ertragen.
Alles war wieder wie früher. Er wollte einfach da weiter machen, wo er aufgehört hatte.
Aber ich wollte keine Vorwürfe mehr in mir tragen, wollte frei von ihm sein, von unserer Zeit, wollte das schöne Jahr in guter Erinnerung behalten und nicht das Ende.
Ich sah auf die Karte, sah auf sein Bild.
Die schreiend gelbe Krawatte grinste mich höhnisch an.
Ein Mann ist, was er tut, eine Frau, was sie aus sich macht.
Ritschratsch!
Am
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