Bartstoppelkuesse
Heben dieser Braue. Halb fragend, halb herausfordernd bewegte sie sich fünf Millimeter Richtung Schläfe und zog seine Mundwinkel mit hoch zu diesem süffisanten Grinsen, das Frauen verrückt machte.
Das Bild war im Büro aufgenommen, ganz bestimmt.
In dem Büro, von dem aus er damals lange Telefonkonferenzen mit mir führte. Natürlich hatte er vorher seine persönliche Assistentin in die Poststelle oder sogar nach Hause geschickt.
Manchmal war er auch unterwegs gewesen und hielt irgendwo auf einem Marktplatz oder am Straßenrand, öffnete das Sonnendach seines Wagens und beschrieb mir den Himmel durch den Hörer. Er teilte seine Welt mit mir. Bis wohin, bestimmte er. Durch seine Augen sah ich leuchtende Raps- und Sonnenblumenfelder, die Golden Gate Bridge im kalifornischen Sonnenuntergang oder die Korallenriffe in den Tauchgründen der Malediven, die er mit seinem Sohn aus erster Ehe eroberte. Ohne mich.
Die gelbe Krawatte, die er jetzt auf dem Bild trug, verwandelte sich vor meinen Augen in einen Pfeil, der direkt nach unten wies, in die Hölle.
...Ich bin am 5.1. in Hamburg, geschäftlich. Ich würde dich gerne wieder sehen, ma Petite...
Was bildete sich dieser verdammte Kerl eigentlich ein?
Das letzte Mal als ich ihn sah, standen wir an seinem Wagen und er verabschiedete sich mit einem leidenschaftlichen Kuss von mir.
„Ich liebe dich, ma Petite“, waren seine Worte und der Blickkontakt schien nicht enden zu wollen. „Anfang Juli bin ich wieder da!“ Ich glitt in seine Umarmung wie in einen Mantel. Meine Kleine, ja ...so nannte er mich immer, obwohl ich größer war als er, wenn ich Pumps trug. Frau konnte eben nicht alles haben ! Tom hatte französische Vorfahren und sein Repertoire war beachtlich, machte ihn charmant und kultiviert.
Obwohl wir uns in meiner Wohnung hätten treffen können, bestand er immer darauf mich in ein Hotel zu entführen. Denn Tom war noch verheiratet und lebte mit seinem Ehegespinst in M ainz. So liebten wir uns wiederholt im elegantesten Hamburger 4-Sterne-Hotel in einer Suite, in der wir mit unseren Leibern im eierschalenfarbenen Teppich versanken.
Er entführte mich in exklusive Restaurants, spielte mit seinen gepflegten Händen an meinen Schenkeln und flüsterte mir über den Tisch zu: „Ich bin verrückt nach dir!“. Schon damals versuchte ich meinem Ruf als kokette Verführerin gerecht zu werden. Denn für ihn hatte ich Verzicht gewählt, was die Verhüllung meiner Scham anging. Nur ein extravaganter Perlenstring suchte sich den reizvollen Weg über meine Klitoris und lud ihn ein, die Serviette fallen zu lassen um ihm einen lüsternen Verrat meiner Körperlichkeit zu gewähren.
Wie hatte er damals gebettelt, dass ich ihm meinen Slip zukommen ließe. Ich hatte mich geweigert. Es ging schließlich um locken und erlegen. Stattdessen hatte er mich dazu überredet, einen Finger mit mir zu befeuchten, so dass er anschließend erst einmal mit einem scheinbar galanten Handkuss mein Aroma in seiner Nase hatte, um dann unauffällig an meinem Finger zu lecken.
„Ich liebe Dich, ma Petite!“ Ja…
Und dann fuhr er zurück in den Süden der Republik und ich sah ihn nie wieder. Vier Wochen später, Anfang Juli, kam er nicht, sondern schickte mir per Email das Ende unserer Liebe und erklärte, dass er eine attraktive Frau mit Kind kennen gelernt hatte und mit ihr aus beruflichen Gründen in die Nähe von Düsseldorf ziehen würde.
Er hatte mich stehen lassen, mich, Scarlett, für eine aus Düsseldorf! Durch diese Strategie der Doppelgleisigkeit hatte er mich meiner Einzigartigkeit und Einmaligkeit beraubt. Und jetzt schrieb dieser Idiot eine Weihnachtskarte und packte noch so ein olles Bild von sich dazu!
Tom war schon immer ein Nomade gewesen. Ich hatte gewusst, dass es nicht für ewig war. Aber es doch gehofft.
Beruflich war er mehr in der Schweiz als in Deutschland daheim. London war seine zweite Heimat und in München hatte er sogar eine Eigentumswohnung für die Durchreise, wohin auch immer.
Vielleicht zu mir, nach Hamburg.
Oder zu ihr, nach Düsseldorf.
Es war einfach so, dass er sich irgendwann entliebt hatte, es erst selbst nicht wahrhaben wollte und dann nach Gründen suchte, um Schluss machen zu können. Aber er hätte sagen können, dass ich ihm die falsche Krawatte gekauft, ihn im Restaurant blamiert hatte oder dass wir
einfach nicht zusammen passten, aus verschiedenen Welten kamen.
Aber nein, er setzte mir innerhalb von dreißig Tagen eine neue
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