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Bassus (German Edition)

Bassus (German Edition)

Titel: Bassus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Eisenmann
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zurück. Auch Tony wäre zurückgewichen, wenn er nicht auf dem Pferd gesessen hätte. Eine ungeheure Energie schien von dem Ort auszugehen. Es war jedoch keine gute Energie. Seltsame hölzerne Figuren standen da, düstere, Furcht einflößende Gestalten. Tony musste sofort an Menschenopfer denken und suchte nach ausgebleichten Knochen. Er wusste, dass man diese Felder nicht betreten durfte, oder man war des Todes. Aber da war wieder dieses seltsame Winseln. Es klang, als ob jemand einem Hund die Nase zuhielt.
    „Harpalos!“, schrie Tony.
    Mit lautem Gejaule jagte ein schwarzes Etwas über die weiße Fläche auf ihn zu. Tony sprang vom Pferd und schloss den Hund in seine Arme. Gleich danach richtete er sich wieder auf. Hier musste noch jemand sein. Jemand, der Harpalos festgehalten hatte und der ihn sicher töten würde, wenn er den heiligen Ort entweihte. Tony sprang wieder auf Teres und galoppierte zurück in den Wald. Harpalos jedoch blieb stehen und sah immer wieder in die Richtung, aus der er gekommen war. Tony wollte ihn rufen, ihn antreiben, damit sie von hier wegkamen. Doch dann begriff er.
    Diese weite, weiße Fläche! Er kannte sie! Er hatte sie in seinen Träumen gesehen.
    Er steuerte Teres mitten in sie hinein. Sie folgten Harpalos‘ Spuren. Das war nicht leicht, denn auch die Wölfe hatten ihre Spuren hinterlassen.
    „Bassus!“, rief Tony immer wieder.
    Aber er wagte nicht, allzu laut zu rufen, damit nicht etwa herumstreunende Germanen ihn hörten. Auf der gegenüber liegenden Seite des Feldes hätte er fast die kleine Erhebung am Fuß eines riesigen Baumes übersehen. Er steuerte darauf zu. Es sah aus, als hätten die Wurzeln des Baumes ein Stück Boden nach oben gedrückt. Und genau das war auch geschehen. Darunter befand sich ein kleiner Hohlraum.
    Tony sprang von Teres und kniete im Schnee. Er musste sich sehr tief hinabbeugen, um in die Höhle zu sehen.
    „Bassus?“, flüsterte er.
    „Tony“, kam es wie ein Windhauch zurück.
    Auf einmal knieten Hampus und Ildiger neben ihm. Sie waren seiner Spur gefolgt. Behutsam zogen sie Bassus hervor und legten ihn auf eine Decke. Er sah nicht mehr aus wie ein Mann von siebenundvierzig Jahren, er wirkte eher wie ein uralter Greis. Tiefschwarze Ringe lagen unter seinen Augen. Der lange Bart war verfilzt.
     

                                                            XI        
     
    „Dann bittest du den Patienten, seine Augen zu schließen, und tastest durch seine geschlossenen Lider hindurch die Oberfläche des Augapfels ab.“
    Der Patient, ein alter Germane, der in Begleitung einer erwachsenen Enkelin gekommen war, schloss die Augen.
    Kallisto hob ihre Hände und legte die Daumen auf die Lider des alten Mannes. Behutsam drückte sie zu und bewegte die Kuppen ihrer Daumen hin und her. Danach bat sie den Mann, seine Augen wieder zu öffnen, und trat zur Seite.
    „Und jetzt sag mir, was du siehst, Tony.“
    „Keine Veränderung. Alles bleibt starr.“
    Kallisto nickte zufrieden.
    Tony fuhr fort: „Das, zusammen mit der graublauen Farbe des Stars, sagt uns, dass er reif ist und du ihn entfernen kannst.“
    „Sehr gut.“
    Wieder einmal hatte er bewiesen, dass er keine Fehler machte, wenn es um die Beurteilung des Reifegrads eines Grauen Stars ging. Doch Tony konnte sich nicht vorstellen, dass er jemals allein, ohne die Hilfe eines erfahrenen Okulisten oder einer Okulistin wie Kallisto, einen solchen Star operieren könnte. Ohne Betäubung wurde dabei dem Patienten ins Auge gestochen und der Star weggedrückt. Und doch war es auch faszinierend. Tony war Wackeron dankbar, dass er seine alte Freundin aus Griechenland gebeten hatte, ihn während seines Aufenthaltes hier in der Augenheilkunde zu unterweisen. Sie war als Okulistin so erfolgreich, dass von nah und fern Menschen mit Augenleiden nach Aquae Granni reisten, um sich von ihr behandeln zu lassen.
    „Heute siehst du noch einmal genau zu, und morgen wirst du es selbst versuchen“, sagte Kallisto.
    Er hob abwehrend die Hände. „Ich bin noch nicht so weit.“
    Kallisto, klein, mollig und lebhaft, mit einen Wust von hochgesteckten, schwarzen Locken, lächelte. „Tony, ich hatte noch nie einen Schüler, der so schnell begriffen hat wie du. Du kannst das, du wirst sehen.“
    Wieder wollte Tony widersprechen, doch dann erkannte er, dass es ihn im tiefsten Inneren auch reizte, eine solche Operation durchzuführen.
    Schon seit Wochen

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