Bassus (German Edition)
Problem?“
„Nun“, Professor Kalterer tat so, als suchte er nach Worten, doch es war klar, dass er genau wusste, was er sagen wollte. Er überlegte nur noch, wie er den Schlag am besten platzierte, damit die Wirkung möglichst verheerend war.
„Tony, du warst nicht untergetaucht“, sagte er mit sanfter Stimme. „Du hattest in der anderen Klinik einen schweren Nervenzusammenbruch und bist gestürzt. Die Kopfverletzung, die du dir dabei zugezogen hast, war so schwer, dass du bis vor wenigen Tagen im Koma gelegen hast.“
„Was?“
„Du warst fast zwei Jahre lang im Koma. Wir haben dich die ganze Zeit betreut.“
„Ich bin seit fast zwei Jahren hier?“
Beide Ärzte nickten.
„Immer hier?“
Professor Kalterer tätschelte seinen Arm. „Ich glaube, das musst du erst mal verdauen.“
In seinen Fieberträumen jagte er Schatten. Flavia, Severus, Marcia, Fabius Pudens, Wackeron, Morvran, Trajanus, Donatus, Ildiger, Perpenna, Audica, Micon. Und Julia, Teres, Harpalos. Sie tauchten auf und verschwanden wieder. Immer, wenn er nach ihnen greifen wollte, lösten sie sich in Luft auf. Ihre Stimmen klangen blechern und verzerrt. Er hörte Harpalos bellen, aber es klang werkwürdig hohl. Lateinische Gesprächsfetzen drangen an sein Ohr. Er mischte sich ein. Doch sobald er das Wort ergriff, verhüllten seine Gesprächspartner ihre Gesichter und wandten sich ab.
Und da war noch jemand. Der Umriss eines römischen Soldaten mit breiten Schultern, den er immer nur von hinten sah. Er lief sehr schnell irgendwohin. Völlig lautlos. Tony versuchte, ihn einzuholen. Sie rannten durch graue, düstere Geröllwüsten ohne Sonne. Immer wieder fiel Tony hin und verlor die schemenhafte Gestalt aus den Augen. Er rappelte sich jedes Mal wieder auf und humpelte weiter. Aber er wusste, es war sinnlos. Der Soldat entfernte sich immer weiter. Warum war der Mann so wichtig? Warum durfte Tony ihn nicht verlieren? Wer war das? Was hatte er mit ihm zu tun?
Er hörte sich schreien: „Bleib stehen! Verlass mich nicht! Verlass mich nicht!“
Er schrie, bis seine Stimme brach.
Hin und wieder ließ die Wirkung der Medikamente nach. Und in diesen kostbaren Momenten der Klarheit traf es ihn mit voller Wucht: Es hatte Bassus und Flavia nie gegeben!
Sie waren Ausgeburten seiner Fantasie. Er war nie in der Römerzeit gewesen!
Aber wenn er solche Welten erschaffen konnte, Welten, die ihm völlig real vorgekommen waren, dann war er wirklich wahnsinnig. Was hatte er sich dann noch alles eingebildet? Hatte er in Wirklichkeit tatsächlich liebende Eltern? War doch er es gewesen, der Melanie getötet hatte?
Er stockte.
Und das Medaillon?
Ja, das alles war viel zu verrückt. Es war nie geschehen!
Tony rannte. Eine nachtschwarze Gestalt trat ihm in den Weg. Er wollte sie beiseite schieben. Aber es gelang ihm nicht. Die Gestalt stieß ihm mit den Händen in die Brust und schob ihn dahin zurück, von wo er gekommen war. Er bekam keine Luft mehr und fiel auf den Boden. Da kam der römische Soldat zurück. Er hielt ein Schwert. Die nachtschwarze Gestalt drehte sich um. Auch sie hielt auf einmal ein Schwert in der Hand. Es glänzte silbern und böse.
Tony wollte aufstehen und dem Soldaten helfen. Stattdessen entfernte er sich. Immer schneller schwebte er fort von den Männern. Er konnte nichts tun. Der Sog war zu stark. Die beiden Schemen wurden kleiner. Sie kämpften erbittert. Nach kurzer Zeit waren sie bereits so weit weg, dass Tony nichts mehr erkennen konnte.
Er glühte.
Es war schon der dritte Abend, an dem Schwester Natascha in ihrem Ein-Zimmer-Apartment in Köln saß und ihr Telefon anstarrte. Die Nummer der Polizei lag daneben. Und heute hatte sie es endlich getan. Sie hatte nach der Kommissarin Elisabeth Scheffler verlangt. Der Polizist am anderen Ende hatte erklärt, dass Frau Scheffler erst morgen früh wieder da sein würde. Aber bevor sie wieder auflegen konnte, hatte er noch gefragt, worum es ging. Sie nannte den Namen Tony Fuhrmann. Keine zehn Minuten später hatte Elisabeth Scheffler zurückgerufen. Mit wenigen Fragen hatte sie Natascha entlockt, was sie so beunruhigte, und erklärt, dass sie gleich bei ihr sein würde. Das war vor fünfzehn Minuten gewesen.
Es klingelte. Natascha drückte den Knopf des Türöffners. Die Frau, die aus dem Fahrstuhl stieg, trug verwaschene Jeans und eine Bikerjacke. Sie zeigte ihren Polizeiausweis.
Als sie sich gegenüber saßen, fragte Elisabeth Scheffler behutsam: „Wie
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