Bassus (German Edition)
lange arbeiten Sie schon in dieser Klinik?“
„Erst seit Beginn dieses Monats.“
„Und da lag Tony schon als Patient dort?“
„Ja.“
„Sie deuteten an, dass es ihm sehr schlecht geht?“
„Das ist richtig. Er hat seit Tagen hohes Fieber.“
„Was ist geschehen?“
„Professor Kalterer hat ihm gesagt, dass er zwei Jahre lang im Koma lag. Tony selbst hatte geglaubt, dass er während dieser Zeit irgendwo untergetaucht war und dann einen Unfall hatte.“
„Was hat Sie stutzig gemacht?“
Natascha rieb ihre feuchten Hände an den Knien.
„Da waren mehrere Dinge.“
Nach einer Weile fuhr sie fort: „Ich möchte niemandem Ärger machen. Vielleicht sind das alles nur Hirngespinste, obwohl - zumindest eine Sache ist definitiv kein Hirngespinst.“
„Was ist das für eine Sache?“
„Als ich Tony während seiner Bewusstlosigkeit gewaschen habe, ist mir aufgefallen, dass seine Füße voller Schwielen sind. Wie bei Menschen, die sehr viel gelaufen sind. Außerdem hat er viele kleinere Narben am Körper, die zwar abgeheilt sind, aber noch nicht allzu alt sein können.“ Sie verbesserte: „Jedenfalls keine zwei Jahre.“
„Was ist Ihnen sonst noch aufgefallen?“
„Nun, er wollte unbedingt, dass Sie wissen, wo er ist. Er hofft, dass Sie ihn besuchen. Er möchte Ihnen erzählen, was er in der Zeit erlebt hat, in der er vermeintlich untergetaucht war.“
Jetzt musste alles heraus: „Außerdem finde ich es seltsam, dass Tony in der Klinik so isoliert wird. Nur ganz wenige Leute dürfen Kontakt zu ihm haben. Vor allem Personal, das bis vor kurzem von Tonys Existenz gar nichts wusste. Und der letzte Punkt ist die Freundschaft zwischen Tonys Vater und Professor Kalterer, dem Chef der Klinik. Ich habe zufällig mitgehört, dass er Herrn Fuhrmann mitteilte, dass er alles tut, damit das Problem Tony sich bald erledigt.“
„Diese Bemerkung könnte sich auf wer weiß was beziehen“, warf Elisabeth Scheffler vorsichtig ein.
„Nicht, wenn man gleichzeitig feststellt, dass Tony nicht die richtige Behandlung bekommt. Er hat wirklich sehr hohes Fieber.“
„Sie wollen andeuten, dass man seinen Tod herbeiführen möchte?“
Natascha zögerte. „Ich weiß, es klingt ungeheuerlich. Aber diesen Eindruck habe ich.“
Sie atmete auf. Jetzt, wo sie das Furchtbare ausgesprochen hatte, ging es ihr besser, und sie fuhr fort: „Vielleicht könnten Sie mir einfach ein paar Fragen beantworten, Frau Scheffler. Dann wüsste ich, ob ich spinne oder ob Tony tatsächlich in Gefahr ist.“
„Natürlich“, antwortete Elisabeth Scheffler. „Schießen Sie los.“
„Tony glaubt, dass er vor fast zwei Jahren aus einer anderen Klinik geflohen und untergetaucht ist. Professor Kalterer hat ihm gesagt, dass er diese andere Klinik nie verlassen hat. Er sei direkt von dort in unsere Klinik verlegt worden. Stimmt das?“
„Nein. Das stimmt nicht. Tony ist tatsächlich geflohen und untergetaucht. Das ist aktenkundig. Außerdem gibt es dazu auch jede Menge Presseartikel.“
„Oh mein Gott!“
Elisabeth hob beschwichtigend die Hand. „Kann es nicht sein, dass Professor Kalterer absichtlich so redet? Dass er es aus therapeutischen Gründen für besser hält, wenn Tony glaubt, dass er die ganze Zeit im Koma lag?“
„Nein! Das ist ausgeschlossen. Ich bin ausgebildete Psychiatrieschwester. Man hat mir beigebracht, dass es ganz wichtig ist, dass der Patient die Grenze zwischen Wirklichkeit und Einbildung kennt. Man belügt Patienten der Psychiatrie nicht, schon gar nicht, indem man ihnen ihre korrekten Eindrücke der Wirklichkeit ausredet.“
Natascha stand auf und ging erregt auf und ab. „Das ist das Schlimmste, was man einem Psychiatriepatienten antun kann!“
Elisabeth Scheffler blieb sitzen. Doch auch sie war aufgewühlt. „Hat Tony irgendetwas darüber gesagt, wo er sich in der Zeit seines Verschwindens aufgehalten hat?“
Natascha blieb stehen. „Nein. Aber er redet im Schlaf und im Fiebertraum darüber.“
„Was sagt er?“
„Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es Latein ist.“
„Latein?“
„Ja. Er spricht fließend Latein. Das hat einer der Ärzte gesagt.“
Natascha setzte sich wieder. „Manchmal sagt er auch ein Wort, das nicht lateinisch klingt. Es hört sich ganz seltsam an, wie Wanyn oder Gwanyn. Können Sie damit etwas anfangen?“
Elisabeth Scheffler nickte. „Haben Sie in den Akten nachgesehen, wie lange Tony schon in der Klinik ist?“
„Natürlich. Dort steht, dass er seit fast
Weitere Kostenlose Bücher