Bassus (German Edition)
draußen neben dem Zug her. Sie wollte ihm etwas Wichtiges sagen. Er rüttelte am Zugfenster, um es zu öffnen, aber es klemmte. Der Zug fuhr immer schneller, und Gwanwyn blieb zurück. Endlich bekam er das Fenster auf. Aber jetzt war Gwanwyn nur noch ein winziger Punkt in der Ferne. Dann war ihre Stimme plötzlich wieder ganz nah. Sie schien vom Gang des Zuges zu kommen. Komisch. Wie war sie denn in den Zug hereingekommen?
Und warum rief sie lateinische Wörter?
Er wachte auf. Immer noch konnte er jemanden hören. Es war jedoch nicht Gwanwyns Stimme, sondern die eines Mannes. Tony lauschte. In einem hatte er sich aber nicht vertan: Wer auch immer da herumbrüllte, tat es auf Latein. Seltsam.
Vorsichtig richtete er sich mit geschlossenen Augen auf. Sein Kopf tat zwar immer noch weh, aber ihm war zumindest nicht mehr schlecht. Er tastete seine Stirn ab. Feucht. War das Blut? Nun, die Verletzung schien nicht allzu tief zu sein. Dann fiel ihm der Schlag auf den Rücken ein. Er tastete die Stelle ab und stöhnte vor Schmerz auf.
Wo war er? Lag er am Ende immer noch auf dem Boden vor dieser Kellertür? Oder war er in einem Krankenhaus? Nein, dem Geruch und der leichten Brise nach war er draußen, unter freiem Himmel.
Hatten Rolands Handlanger ihn hier abgelegt? Waren sie noch in der Nähe? Plötzlich überkam ihn eine solche Verzweiflung, dass ihm wieder schlecht wurde. Wie waren sie ihm nur auf die Spur gekommen? Er war jedenfalls nicht so schlau und perfekt, wie er gedacht hatte. Regelrechtes Grauen erfasste ihn bei dem Gedanken, er könnte sich in Rolands Gewalt befinden.
Langsam öffnete er die Augen. Was er sah, sagte ihm zunächst gar nichts. Um ihn herum wuchsen Bäume und Sträucher. Dazwischen standen größere und kleinere Steingebilde. Einige von ihnen waren mit Säulen und Statuen verziert. Es gab auch schlichte, aufrecht stehende Steinplatten, auf denen einzelne Menschen oder Gruppen dargestellt waren. In einige Platten war auch nur ein Text eingemeißelt. Genau neben einer solchen Platte saß er auf dem Boden.
Die Dinger sahen aus wie die Grabplatten, die im Römisch-Germanischen Museum herumstanden. Hatten sie ihn, als er bewusstlos war, hierher geschleppt?
Er betrachtete einen der Säulenbauten etwas genauer. Ein ähnlicher stand im Museum im Erdgeschoß. Es war das Grab eines reichen Händlers aus dem Köln der Römerzeit. Franzis Vater hatte es ihnen gezeigt und erzählt, dass die Römer ihre Toten außerhalb der Stadt, entlang der Hauptverkehrsstraße, beerdigt hatten. Ja klar, jetzt wusste er es: Er war auf einem nachgebauten römischen Friedhof. Das hier musste eine Art Freiluftmuseum sein. Nur komisch, dass er nie von so einem Museum gehört hatte.
Neben ihm lag sein Rucksack. Er war erleichtert. Er hatte ihn über der Schulter gehabt, als der Schlag gekommen war. Ob etwas fehlte?
Offenbar nicht. Sogar das Nachtfernglas war noch da - und die Leberwurstbrote und die Apfelschorle! Gott, war er hungrig. Keine fünf Minuten später hatte er alles aufgegessen und die Flasche halb leer getrunken. Trotzdem war er noch hungrig. Er wühlte noch einmal und fand die Schokolade. Gierig verschlang er sie. Köstlich. Hatte er zufällig vielleicht auch Bonbons bei sich? Nein. Er trank den Rest der Apfelschorle. Danach griff er in die Taschen seines Anoraks. Rechts waren das Taschenmesser und Tempotaschentücher, links etwas Kleingeld. In der rechten Hosentasche steckten sein Schlüsselbund, der mit einer Kette am Gürtel befestigt war, und ein Feuerzeug. In der linken war sein Handy. Alles da. Aber nichts mehr zu essen.
Er checkte seine Armbanduhr: Kurz nach vier. Nachmittag also. Das konnte nicht sein! Oder doch?
Er war fast sechzehn Stunden bewusstlos gewesen?
Bedeutete das, dass seine Kopfverletzung schlimmer war, als sie sich anfühlte? Und wo, verdammt noch mal, war er hier? Wo lag dieses Freiluftmuseum? Und wer hatte ihn hierher geschleppt? Rolands Leute, die ihm aufgelauert hatten? Sechzehn Stunden. Theoretisch konnten sie ihn in dieser Zeit sehr weit weg gebracht haben. Sogar irgendwohin ins Ausland. Vielleicht war dieses Museum in Holland oder Belgien? Oder in der anderen Richtung, im Osten? War er am Ende gar in Polen oder in Tschechien? Verflixt, wenn sie ein Flugzeug zur Verfügung hatten, konnte er sogar in der sibirischen Taiga oder in Alaska sein. Aber wie hätten sie ihn durch die Flughafenkontrollen bringen können? Und wieso sollte dort jemand einen römischen Friedhof
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