Bassus (German Edition)
fest.“
Tony umklammerte das Seil und der Soldat zog daran. Es dauerte keine Sekunde, und der Soldat hatte ihm das Seil aus den Händen gerissen.
Erschöpft setzte Tony sich auf eine Bank und lehnte sich an die Wand. Ein Soldat, der sein Pensum erledigt und sich schon verabschiedet hatte, ging zuvor noch zu einer Götterstatue, die in einer Wandnische stand. Er verneigte sich ehrerbietig. In allen Übungsräumen waren solche Götternischen; die schönste war in der Reithalle. Auch die Pferde wurden täglich dorthin geführt, damit sie den Segen der Götter empfangen konnten.
Bassus setzte sich neben Tony. Da konnte er ihn gleich fragen:
„Ich verstehe dieses Getue mit den Schreinen nicht. Unser Castellum hat einen wunderschönen Schrein in den Principia, und in der Siedlung gibt es einen Tempel. Das müsste den Göttern doch eigentlich reichen.“
„Jeder Ort ist von Genien beseelt. Wir müssen sie zu unseren Verbündeten machen.“
Mit diesen Genien ging es Tony wie mit den Körpersäften, von denen Wackeron und Morvran immerzu redeten.
„Ich glaube nicht an so etwas.“
Bassus sah ihn interessiert an. „Glauben die Menschen in deiner Zeit denn nicht mehr an Götter und Geister?“
„Doch, viele schon. Nicht an eure Götter, an andere, meistens an einen einzigen Gott, dem sie jedoch unterschiedliche Namen geben.“
„Na also.“
„Aber sie bekriegen sich auch deswegen. Jede Religion behauptet, die einzig wahre zu sein.“
„Das ist natürlich dumm, denn es widerspricht dem Geist der Religion.“
„Ach. Wie kommt es dann, dass all diese frommen Männer hier kämpfen und töten?“
„Sie tun es nicht für eine Religion, sondern für das Imperium und somit für den Frieden. Und ihr Glaube an die Götter hilft ihnen, das nicht zu vergessen.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Was ist daran nicht zu verstehen?“
„Töten für den Frieden. Das passt nicht zusammen.“
Bassus schwieg eine Weile. Dann sagte er vorsichtig: „Sicher, da gibt es einen gewissen Widerspruch.“
„Wenn etwas nicht passt, dann lässt man es.“
Bassus hatte die Hände auf seine Knie gelegt. Für einen Moment ballte er sie zu Fäusten, und seine Knöchel wurden weiß.
Doch dann sagte er ruhig: „Die Dinge sind nicht immer so einfach. Wir sind im Leben oft gezwungen, für eine letztendlich gute Sache etwas zu tun, das uns innerlich widerstrebt.“
„Und die Götter sollen uns dabei helfen, uns einzureden, dass das Falsche doch irgendwie das Richtige ist?“
Bassus sah ihn überrascht an. Es kam Tony so vor, als hätte er ihn zutiefst getroffen. Doch was wusste er schon, was in Bassus vorging. Wahrscheinlich hielt der ihn einfach nur für einen Gotteslästerer.
Tonys Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Er würde sich in dieser fremden Welt nie zurechtfinden. Er würde nie so ticken wie die Menschen hier. Zum ersten Mal seit seiner Genesung fühlte er wieder den Impuls zu fliehen. Doch wohin? Wieder einem Perpenna in die Arme? Er griff nach dem Medaillon.
„Bassus…“, rutschte es aus ihm heraus.
„Ja.“
Doch er konnte es nicht in Worte fassen.
„Was ist?“, fragte Bassus.
Tony starrte auf den Schrein an der Wand, als könnte er den steinernen Gott dort beschwören. „Ich möchte zurück.“
Die Stille ließ sich fast mit dem Messer schneiden.
„Ich wollte, ich könnte dir helfen“, sagte Bassus nach einer Weile.
Tony vergrub das Gesicht in den Händen. Er fühlte, wie sich eine Hand auf seinen Rücken legte. Aber die Erfahrung war so fremd, dass Tony sich abrupt wegdrehte.
Bassus stand auf. Seine Stimme klang müde, als er sagte: „Komm, Tony. Micon wundert sich sicher schon, wo wir bleiben.“
Am nächsten Tag beobachtete Tony, wie Wackeron einem Soldaten die Knochen richtete. Es war nicht das erste Mal, dass er erlebte, wie der Arzt bei Brüchen vorging. Die Patienten erholten sich meistens wieder vollständig.
„Wenn Wackeron Knochen richtet oder an Leuten herumschneidet und sie wieder zunäht, überleben die meisten. Er sagt zwar immer, dass er kein geheimes Wissen hat, aber so sehr ich mich auch bemühe, ich kann diese Dinge einfach nicht so gut wie er. Dafür bin ich auf anderen Gebieten besser“, hatte Morvran ihm einmal gestanden.
Und das stimmte. Wenn Morvran einem Patienten sagte, dass seine Schmerzen in wenigen Augenblicken vergehen würden, dann stimmte das im Allgemeinen auch.
Gerade als Tony sich fragte, welcher Zweig der Medizin ihm selbst eigentlich am meisten lag,
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