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Bastard

Bastard

Titel: Bastard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Entfernung eines überflüssigen Wurmfortsatzes aufgetretenen Infektion erliegen musste. Ich wollte sie heilen. Während ich mich an ihr zu schaffen machte, wünschte ich mir, sie möge zu sich kommen und von dem erhöhten Edelstahltisch in dem tristen, nach Tod riechenden Kellerraum mit seinem abgewetzten Fußboden heruntersteigen. Ich wollte, dass sie wieder lebendig und gesund wurde, und sehnte mich nach dem Gefühl, dazu beigetragen zu haben. Allerdings bin ich keine Chirurgin, sondern führe eher Ausgrabungen durch, um in meinem Krieg gegen Mörder, oder – weniger dramatisch, dafür aber häufiger – Anwälte, etwas in der Hand zu haben.
    Anne war so nett, mir einen frischgewaschenen OP-Anzug in dem üblichen Grün, an das ich gewohnt bin, Größe medium, zu besorgen. Darüber ziehe ich einen Einwegkittel an, den ich im Rücken fest zubinde, bevor ich ein Paar Überschuhe aus dem Spender nehme und über die Arztclogs aus Gummi streife, die Anne irgendwo aufgetrieben hat. Als Nächstes kommen Ärmelschoner, Haarnetz, Mundschutz, Gesichtsschild und zu guter Letzt zwei Paar Handschuhe übereinander.
    »Vielleicht könnten Sie für mich mitschreiben«, sage ich zu ihr, als ich in den Autopsiesaal, einen großen, leeren, von schimmerndem Weiß und funkelndem Stahl geprägten Raum, zurückkehre. Wenn ich meinen Patienten auf dem Tisch mitzähle, sind wir nur zu dritt. »Für den Fall, dass ich keine Gelegenheit habe, meine Ergebnisse gleich anschließend zu diktieren. Und es sieht ganz danach aus, dass ich wegmuss.«
    »Aber nicht allein«, erinnert sie mich.
    »Benton hat den Autoschlüssel mitgenommen«, erwidere ich.
    »Das würde Sie nicht daran hindern. Schließlich haben wir
hier einen Fuhrpark. Also versuchen Sie nicht, mich reinzulegen. Wenn es so weit ist, rufe ich ihn an. Keine Widerrede.« Anne kann fast alles sagen, ohne dabei respektlos oder unhöflich zu klingen.
    Während ich Abstriche von der Eintrittswunde unten am Rücken nehme, fotografiert sie. Anschließend nehme ich noch Abstriche von den Körperöffnungen, nur für den Fall, dass bei diesem Mord ein sexueller Übergriff im Spiel gewesen sein sollte, obwohl ich mir das angesichts der Schilderungen nicht vorstellen kann.
    »Weil wir nach einem Einhorn suchen.« Ich verstaue die Abstriche von Anus und Mund in Papierumschlägen und zeichne sie mit meinen Initialen ab. »Und nicht nur nach einem gewöhnlichen Pony. Außerdem nehme ich nichts als gegeben hin, weil ich nicht am Tatort war.«
    »Nun, das war niemand von uns«, antwortet Anne. »Was ein Jammer ist.«
    »Selbst wenn es anders wäre, würden wir nach einem Einhorn suchen.«
    »Ich kann Sie verstehen. An Ihrer Stelle würde ich auch nicht viel auf die Aussagen anderer Leute geben.«
    »An meiner Stelle.« Ich lege eine neue Klinge in ein Skalpell ein. Anne füllt einen beschrifteten Plastikbehälter mit Formalin.
    »Außer, wenn ich es bin«, entgegnet sie, ohne mich anzusehen. »Ich würde nicht lügen, betrügen oder mir etwas nehmen, das mir nicht zusteht. Nie würde ich so tun, als ob das hier mein Laden wäre. Aber schon gut. Ich sollte das nicht weiter ausführen.«
    Das verlange ich auch gar nicht von ihr. Schließlich will ich sie nicht in die Verlegenheit bringen, die Leute anschwärzen zu müssen, die mich hintergangen haben. Ich weiß nämlich, wie es ist, in diese Rolle gedrängt zu werden. Ein schlimmeres
Gefühl gibt es kaum. Außerdem fühlt man sich gezwungen, zu lügen oder zumindest die Wahrheit zu verschweigen. Die Lüge nistet sich dann im tiefsten Inneren eines Menschen ein, völlig intakt wie die unverdauten Maiskörner, die in ägyptischen Mumien gefunden wurden. Man wird sie nicht mehr los und kann sie nicht mehr ungeschehen machen, ohne zuzupacken und sie eigenhändig herauszuholen. Und ich bin nicht sicher, ob ich den Mut dazu habe. Ich denke an die abgetretenen Holzstufen, die in den Keller des Hauses in Cambridge führen. An die rauen Steinmauern unter der Erde. Und an den siebenhundertfünfzig Kilo schweren Safe mit seiner sechs Zentimeter dicken und mit drei Schlössern gesicherten Tür.
    »Vermutlich haben Sie, als Sie mit Marino im McLean waren, keine Gerüchte aufgeschnappt, wo die anderen stecken könnten«, meine ich. Ich beginne den Y-förmigen Einschnitt von Schlüsselbein zu Schlüsselbein und dann nach unten mit einem kleinen Umweg um den Nabel bis zum Unterleib und Schambein. »Haben Sie eine Vermutung, wer da auf unserem Parkplatz herumsteht und

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