Bastard
Haus hatte.
Auf dem Bildschirm der Überwachungskamera beobachte ich, wie er eine Seitentür neben dem großen Tor zur Ladezone öffnet. Eine andere Kamera zeigt, wie er vor dem Gebäude an seinem grünen Porsche Cayenne vorbeigeht, der in meiner Parklücke steht. Er steigt in einen anderen SUV, einen großen, dunklen mit grellen Scheinwerfern, deren Licht sich in den Schneeflocken bricht. Ich kann nicht erkennen, wer am Steuer sitzt. Ich sehe zu, wie der Wagen auf meinem verschneiten Parkplatz rückwärtsrangiert und dann vorwärtsrollt. Er bleibt stehen, bis sich das große Tor geöffnet hat, und verschwindet schließlich im bitterkalten Schneetreiben. Es ist vier Uhr morgens, eine einsame Stunde. Mein Mann sitzt auf dem Beifahrersitz, am Steuer ein Unbekannter, vielleicht sein FBI-Freund Douglas. Die beiden haben ein Ziel, das mir niemand verraten hat.
14
Im Vorraum bereite ich mich wie gewohnt auf die Schlacht vor und werfe mich in meine Rüstung aus Plastik und Papier.
Vor einer Obduktion fühle ich mich nie wie eine Ärztin, ja nicht einmal wie eine Chirurgin, aber vermutlich können das nur die Menschen verstehen, bei denen der Umgang mit den Toten zum beruflichen Alltag gehört. Während meiner Praktika im Medizinstudium war ich nicht anders als andere Ärzte, versorgte auf den Stationen und in der Notaufnahme die Kranken und Verletzten und assistierte im Operationssaal. Also weiß ich, wie es ist, einen warmen Körper aufzuschneiden, der einen Blutdruck und etwas zu verlieren hat. Und deshalb ist mir auch klar, dass das, was ich nun tun werde, unterschiedlicher nicht sein könnte. Denn als ich zum ersten Mal mit einem Skalpell in einen kalten, gefühllosen Körper eindrang und einen Y-förmigen Einschnitt bei einem toten Patienten ansetzte, habe ich etwas unwiederbringlich aufgegeben.
Ich habe mich von der Vorstellung verabschiedet, eine Halbgöttin und Heldin zu sein, die über den gewöhnlichen Sterblichen steht. Außerdem war Schluss mit dem Wunschdenken, dass ich ein anderes Lebewesen, einschließlich meiner selbst, heilen könnte. Kein Arzt hat die Macht, Blut zum Verklumpen zu bringen, dafür zu sorgen, dass Gewebe und Knochen sich regenerieren, oder Tumore schrumpfen zu lassen. Wir lösen keine biologischen Abläufe aus, sondern helfen ihnen höchstens auf die Sprünge, damit sie reibungslos ablaufen – oder auch nicht. In dieser Hinsicht sind Ärzten engere Grenzen gesetzt als Mechanikern oder Ingenieuren, die wirklich etwas aus dem Nichts erschaffen. Vermutlich hat
mich die Wahl meines Fachgebiets, das meine Mutter und meine Schwester bis heute morbide und befremdlich finden, ehrlicher gemacht als die meisten Ärzte. Ich weiß, dass die Toten gegen meine Person oder mein Verhalten am Krankenbett immun sind, wenn ich meine heilende Hand an sie lege. Sie sind und bleiben tot. Auch bedanken sie sich nicht, schicken keine Weihnachtskarten und benennen ihre Kinder nicht nach mir. Natürlich war ich mir dieser Dinge bewusst, als ich mich für die Rechtsmedizin entschied. Doch das ist, als behauptete man, zu wissen, was Krieg bedeutet, wenn man sich bei den Marines verpflichtet und dann in den Bergen Afghanistans eingesetzt wird. Man kennt eine Sache erst wirklich, wenn man sie selbst erlebt.
Immer wenn mir der beißende, ölige, scharfe Geruch von unverdünntem Formaldehyd in die Nase steigt, erinnere ich mich daran, das ich einmal so naiv war, anzunehmen, die Sektion einer der Wissenschaft gespendeten Leiche zu Lehrzwecken sei auch nichts anderes als die Autopsie eines nicht einbalsamierten Menschen mit unklarer Todesursache. Meine erste Leichenöffnung fand im Autopsiesaal der Klinik der Johns Hopkins University statt, einem primitiv ausgestatteten Raum, wenn man ihn mit dem vergleicht, der hinter der Tür des Zimmers liegt, wo ich gerade meine AFME-Uniform zusammenfalte und auf eine Bank lege. Um diese Uhrzeit spare ich mir die Mühe, in die Umkleidekabine zu gehen, weil ich nicht befürchten muss, dass mich jemand nackt sehen könnte. Die Frau, an deren Namen ich mich noch erinnere, war erst dreiunddreißig und hinterließ zwei kleine Kinder und einen Mann, als sie an den nach einer Blinddarmoperation eingetretenen Komplikationen starb.
Bis zu diesem Tag bedaure ich, dass sie mein Studienobjekt war. Es tut mir leid, dass sie überhaupt zum Studienobjekt einer Pathologiepraktikantin gemacht wurde. Ich weiß noch,
wie absurd ich es fand, dass eine gesunde junge Frau wie sie einer bei der
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