Bastard
nicht.«
»Also war Dr. Saltz bei der Hochzeit. Dieser Mann hingegen war nicht für eine Hochzeit angezogen.« Anne weist auf den nackten Toten auf dem Tisch. »Außerdem hatte er seinen Hund dabei. Und eine Pistole.«
»Bis jetzt wissen wir, dass die Braut eine Tochter aus einer anderen Ehe von Saltz’ Frau ist«, verkündet Benton, als wäre diese Einzelheit sorgfältig nachgeprüft worden. »Der Vater
der Tochter, der sie eigentlich hätte zum Altar führen sollen, ist krank geworden. Deshalb hat sie in letzter Minute ihren Stiefvater Dr. Saltz darum gebeten, und der konnte schließlich nicht an zwei Orten gleichzeitig sein. Also ist er am Sonntag nach Boston geflogen und hat seinen Auftritt in Whitehall per Satellit abgewickelt. Ein Opfer für ihn. Sicher hat es ihm gerade noch gefehlt, in die USA zu reisen und sich in Cambridge blicken zu lassen.«
»Waren die Agenten in Zivil seinetwegen dort?«, frage ich. »Und wenn ja, warum? Er hat zwar einige Feinde, aber weshalb sollte das FBI einen Zivilisten und Wissenschaftler aus Großbritannien schützen?«
»Genau das ist ja die Ironie des Schicksals«, erwidert Benton. »Die Sicherheitsvorkehrungen bei der Feier wurden nicht für ihn getroffen, sondern für die Hochzeitsgäste, von denen die meisten wegen der Familie des Bräutigams aus Großbritannien kamen. Der junge Ehemann ist nämlich Russell Browns Sohn David. Liam Saltz’ Stieftochter Ruth und David haben in Harvard Jura studiert, einer der Gründe, warum die Hochzeit hier stattfand.«
Russell Brown, der Verteidigungsminister im Schattenkabinett, dessen Rede ich gerade auf der Website von RUSI gelesen habe.
»Er erscheint bewaffnet zu einem gesellschaftlichen Anlass wie diesem«, merke ich an und nähere mich dem Stahltisch. »Und zwar mit einer Pistole, deren Seriennummer entfernt wurde?«
»Richtig. Und warum?«, überlegt Benton. »Zu seinem eigenen Schutz? Oder wollte er einen Anschlag verüben? Glaubte er gar, sich aus Gründen verteidigen zu müssen, die überhaupt nichts mit der Hochzeit und den gerade erwähnten Personen zu tun haben?«
»Möglicherweise hat er an einem streng geheimen Technologieprojekt
gearbeitet«, schlage ich vor. »Einer Entwicklung, die sehr viel Geld wert ist«, füge ich hinzu. »Einer Erfindung, für die Menschen einen Mord begehen könnten.«
»Und es vielleicht sogar getan haben«, fügt Anne mit einem Blick auf den toten jungen Mann hinzu.
»Hoffentlich sind wir bald klüger«, erwidert Benton.
Ich betrachte den Toten, der steif auf dem Rücken liegt. An den gekrümmten Fingern und der Stellung von Armen, Beinen, Händen und Kopf hat sich überhaupt nichts geändert, obwohl er während des Transports und zur Anfertigung der Aufnahmen viel bewegt worden ist. Die Leichenstarre ist zwar voll ausgebildet, doch der Körper sperrt sich nicht sehr gegen die Untersuchung, weil der Tote so schlank ist. Er hat nicht viel Muskelmasse, in der sich Kalziumionen hätten festsetzen können, nachdem seine Nervenbahnen den Dienst eingestellt hatten. Ich kann ihn mühelos bewegen.
»Ich muss los«, sagt Benton zu mir. »Ich weiß, dass du das hier erledigen willst. Wenn du hier fertig bist, brauche ich deine Hilfe. Aber fahr auf keinen Fall allein los. Sorgen Sie dafür, dass sie mich anruft«, meint er zu Anne, die gerade Reagenzgläser und Behälter für Proben beschriftet. »Melde dich bei mir oder bei Marino«, ergänzt er. »Gib uns eine Stunde im Voraus Bescheid.«
»Triffst du dich mit Marino …?«, setze ich an.
»Wir arbeiten an einer Sache. Er ist schon dort.«
Ich hake nicht weiter nach, auf wen Benton anspielt, wenn er von »wir« spricht. Als er mich noch einmal ansieht, treffen sich unsere Blicke mit der Vertrautheit einer zärtlichen Berührung. Dann geht er hinaus. Ich höre seine leiser werdenden energischen Schritte auf den harten Fliesen im Flur, dann seine Stimme und noch eine andere, als er mit jemandem redet. Vielleicht ist es Ron. Ich kann zwar kein Wort verstehen, aber sie klingen ernst und besorgt. Im nächsten Moment
herrscht plötzlich Schweigen. Ich stelle mir vor, wie Benton den Empfangsbereich verlässt, und bin überrascht, als ich ihn auf dem Videoschirm sehe. Aufgezeichnet von den Überwachungskameras, durchquert er die Ladezone und zieht dabei den Reißverschluss der Lammfelljacke zu, die ich ihm vor so langer Zeit geschenkt habe, dass ich mich nicht mehr an das Jahr erinnere. Ich weiß nur noch, dass es in Aspen war, wo er früher ein
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