Bastard
Mikromechanik arbeite. Die Videoaufnahmen aus Elis Kopfhörer wurden zu einer Webcam-Seite auf dem Server von Otwahl zurückverfolgt, führt Benton weiter aus. Allerdings verrät er mir nicht,
wer das Zurückverfolgen übernommen hat, zum Beispiel, ob es womöglich Lucy war.
»Hat er den Kopfhörer selbst gebaut?«, erkundige ich mich, als der Aufzug endlich eintrifft und sich die Türen öffnen.
»Wahrscheinlich. Er war ein Bastler.«
»Und MORT? Wo hatte er den her? Und wozu hat er ihn gebraucht? Auch zum Basteln?« Mir ist bewusst, dass ich zynisch klinge.
Ich merke es, wenn jemand sich eine feste Meinung gebildet hat, und bin noch nicht bereit dazu. Schwierige Fragen wie diese lassen sich nicht so schnell beantworten.
»Es ist nur ein Modell, das er als Junge gebaut hat«, erklärt Benton. »Nach einem Foto von dem echten Roboter. Sein Stiefvater hat es vor acht oder neun Jahren aufgenommen, als er gegen das Ding auf die Barrikaden gegangen ist. Das war zu der Zeit, als Dr. Saltz und du vor dem Unterausschuss des Senats ausgesagt habt. Offenbar hat Eli Modelle von Robotern gebaut und Erfindungen gemacht, als er praktisch noch in den Windeln lag.«
Langsam gleiten wir von Etage zu Etage, während ich mich erkundige, warum Otwahl den Stiefsohn eines politischen Gegners wie Liam Saltz einstellt. Außerdem habe Mrs. Donahues Anspielung auf die Bedeutung des Namens Otwahl neugierig gemacht. »O. T. Wahl«, entgegnet Benton »Ein Wortspiel, da der Name des Firmengründers Wahl lautet. On the Wall – heimlich lauschend wie die Fliege an der Wand also. Außerdem hieß Eli mit Nachnamen nicht Saltz«, fügt Benton hinzu, als ob ich nicht richtig zugehört hätte, als er Goldman gesagt hat. Eli Goldman. Allerdings habe Otwahl doch sicher seine Vergangenheit unter die Lupe genommen, wende ich ein. Sicher sei der Firma trotz der unterschiedlichen Familiennamen klar gewesen, wer sein Stiefvater ist.
»Seit MORT ist viel Zeit vergangen«, meint Benton, als die
Aufzugtüren sich im Untergeschoss öffnen. »Außerdem hatte man bei Otwahl meines Wissens nach keine Ahnung, dass Eli und sein Stiefvater weltanschaulich auf einer Linie waren.«
»Wie lange hat Eli dort gearbeitet?«
»Drei Jahre.«
»Vielleicht ist bei Otwahl vor drei Jahren ja noch nichts gelaufen, woran Eli oder sein Stiefvater hätten Anstoß nehmen können«, schlage ich vor, während wir, beobachtet von Phil, dem Wachmann, über den grauen Fliesenboden gehen. Ich winke ihm nicht zu, weil ich nicht in der Stimmung bin, freundlich zu sein.
»Nun, Eli war in Sorge, und das schon seit Monaten«, antwortet Benton. »Er wollte seinem Stiefvater eine Erfindung vorführen, die ihm überhaupt nicht gefallen würde. Es handelt sich um eine Fliege, die sich tatsächlich wie die sprichwörtliche Fliege an der Wand verhält. Sie kann spionieren und Sprengstoffe aufspüren oder absetzen. Ebenso Drogen, Gifte und Ähnliches.«
Nanosprengstoffe und gefährliche Drogen, übertragen von einem Gerät, so klein wie eine Fliege , denke ich, als wir an Mitarbeitern vorbeikommen, die ich monatelang nicht gesehen habe. Ich bleibe weder stehen, um ein Schwätzchen zu halten, noch winke oder grüße ich oder nehme Blickkontakt auf.
»Also wollte er seinem Stiefvater eine wichtige Information liefern, ist aber praktischerweise davor gestorben«, stelle ich fest.
»Genau. Das ist das Motiv, von dem ich sprach«, erwidert Benton. »Drogen«, wiederholt er und schildert mir dann die Details, die das FBI erst vor wenigen Stunden von Liam Saltz erfahren hat.
Wieder werde ich von Trauer und Niedergeschlagenheit ergriffen, als ich Benton zuhöre und mir einen jungen Mann vorstelle, der seinen berühmten Stiefvater so vergöttert, dass
er vor Verabredungen mit ihm in seiner Vorfreude stets die Uhr auf Dr. Saltz’ Zeitzone eingestellt hat. Diese Marotte hat ihre Wurzeln in einer tragischen, von chaotischen Familienverhältnissen geprägten Kindheit, in der Eltern durch Abwesenheit glänzten und nur aus der Ferne bewundert werden konnten. Ich erinnere mich an die Videoaufnahmen von Eli und Sock bei ihrem Spaziergang in Norton’s Woods. Dann male ich mir aus, wie Dr. Saltz nach einer Hochzeit, auf die Eli nicht eingeladen war, bei Dämmerung aus dem Gebäude tritt. Sicher hat der Nobelpreisträger sich umgesehen und sich gefragt, wo sein Stiefsohn wohl stecken mochte, ohne die schreckliche Wahrheit zu ahnen. Tot. In einem Leichensack und nicht identifiziert. Ein junger Mann, fast
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