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Bastard

Bastard

Titel: Bastard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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nachzugeben. Er hat nämlich getan, als wäre ich diejenige, die nach Belieben kommt und geht, Urlaub nimmt, zu Turnieren fährt und jeden Monat einige Wochenenden in der Versenkung verschwindet, weil ich eine Leidenschaft pflege, die über meinen Beruf hinausgeht. Über das, was ich jeden gottverdammten Tag tue. Mein Beruf ist meine Passion. Die Toten, mit denen ich mich Tag für Tag befasse. Die Angehörigen, die diese Toten zurücklassen. Die Trümmer ihres Lebens, die sie einsammeln, um weitermachen zu können. Als ich meine Stimme höre, wird mir klar, dass ich es laut ausgesprochen habe. Ich spüre Bentons Hände auf den Schultern, und er steht hinter mir, während ich mir die Tränen aus den Augen wische. Er stützt das Kinn auf meinen Scheitel und schlingt die Arme um mich.
    »Was habe ich nur getan?«, frage ich ihn.
    »Du hast ihm viel zu viel durchgehen lassen, aber getan hast du gar nichts. Das, was er eingeworfen und womit er offenbar auch gehandelt hat … Nun. Du hattest ja vorhin eine kleine Kostprobe, also kannst du es dir vermutlich denken.« Er meint damit die Drogen, mit denen Fielding möglicherweise seine Schmerzpflaster getränkt und die er vielleicht weiterverkauft hat.

    »Habt ihr ihn gefunden?«, erkundige ich mich.
    »Ja.«
    »Ist er in Haft? Wurde er festgenommen? Oder verhört ihr ihn nur?«
    »Wir haben ihn, Kay.«
    »Wahrscheinlich ist es das Beste so.« Die einzige Frage, die mir dazu noch einfällt, ist, wie es Fielding geht. Aber Benton antwortet nicht.
    Ich überlege, ob man Fielding vielleicht fixiert oder ihn in eine Gummizelle gesteckt hat. Ich kann ihn mir nicht in Gefangenschaft vorstellen. In einer Strafanstalt würde er zugrunde gehen. Er würde sich bis zum Tod gegen die Gitterstäbe werfen wie eine in Panik geratene Motte, falls ihn nicht jemand vorher umbrächte. Mir schießt durch den Kopf, dass er vielleicht tot sein könnte. Im nächsten Moment bin ich sicher. Das Gefühl senkt sich so schwer und dumpf auf mich herab, als hätte man mir ein Betäubungsmittel verabreicht.
    »Wir müssen los. Ich erkläre dir die Sache, so gut ich kann, und sage dir alles, was wir wissen. Es ist kompliziert und ziemlich umfangreich«, höre ich Bentons Stimme.
    Er weicht zurück, und als er mich nicht mehr berührt, ist es, als hielte mich nichts mehr, so dass ich jeden Moment aus dem Fenster schweben könnte. Gleichzeitig ist da diese Schwere, die sich anfühlt, als hätte ich mich in Metall oder Stein verwandelt, in etwas also, das weder lebendig noch menschlich ist.
    »Ich konnte dir nicht früher reinen Wein einschenken, weil noch einiges offen war. Nicht dass die Situation inzwischen völlig geklärt wäre«, fährt Benton fort. »Ich habe nicht gern Geheimnisse vor dir, Kay.«
    »Wie konnte er, wie kann überhaupt jemand …«, setze ich zu Fragen an, die niemals zufriedenstellend beantwortet werden können. Ich stelle sie dennoch immer wieder. Warum
sind Menschen grausam? Warum töten sie? Warum haben sie Freude daran, anderen zu schaden?
    »Weil er die Möglichkeit dazu hatte«, erwidert Benton wie gewöhnlich.
    »Aber weshalb?« Fielding ist nicht so. Er war noch nie ein Teufel in Menschengestalt. Unreif, egoistisch und nicht überlebensfähig, ja. Doch nicht böse. Er würde niemals zum Spaß einen sechsjährigen Jungen töten und die Tat dann aus reinem Mutwillen einem Jugendlichen mit Asperger-Syndrom in die Schuhe schieben. So ein kaltblütiges Spiel widerspräche Fieldings Naturell.
    »Geld. Macht. Seine Süchte. Um erlittenes Unrecht aus grauer Vorzeit wiedergutzumachen. Und geistige Zerrüttung. Letztlich wollte er sich selbst zerstören, indem er andere zerstörte. « Für Benton steht die Sache fest. Eigentlich tut sie das für alle, nur nicht für mich.
    »Ich weiß nicht«, murmle ich und halte mir vor Augen, dass ich stark bleiben muss. Ich muss dieses Rätsel lösen. Und ich kann weder Fielding noch sonst jemandem helfen, wenn ich jetzt einknicke.
    »Er hat seine Spuren nicht gut verwischt«, spricht Benton weiter, während ich vom Fenster zurücktrete. »Als wir erst einmal dahintergekommen waren, wo wir nachschauen mussten, lag es praktisch auf der Hand.«
    Jemand schiebt anderen Verbrechen unter und zieht hinter den Kulissen die Fäden. Das ist der Grund, warum die Antworten so offensichtlich zu sein scheinen. Genauso hat der Täter es ja geplant, um uns auf eine falsche Fährte zu locken. Ich werde erst glauben, dass Fielding unser Schuldiger ist, wenn ich

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