Bastard
solche Leute massenweise Munition und Ersatzwaffen dabei, wenn sie einen Amoklauf planen. Aber ich stimme dir zu. Die American Academy of Arts and Sciences ist sehr bekannt. Deshalb sollten wir die Namen des Brautpaars und der Gäste in Erfahrung bringen.«
»Was die Aufnahmen angeht, gibt es gute und nicht so gute Nachrichten.« Lucy streckt die Hand über die Sitzlehne und reicht mir ihr iPad. »Die gute Nachricht ist, wie ich bereits sagte, dass offenbar nichts gelöscht worden ist. Zumindest nicht in jüngster Zeit. Falls ihn jemand überwacht und dann zu seinem Ableben beigetragen hat, hätte diese Person sich doch in den E-Mail-Account eingeklinkt und Festplatte und SD-Karte gesäubert, ehe Leute wie wir einen Blick darauf werfen.«
»Warum dann nicht gleich das verdammte Radio mitsamt Kopfhörer vom Tatort entfernen?«, wendet Marino ein. »Das heißt, falls der Typ wirklich beschattet und verfolgt und von dem, der ihn beobachtet hat, kaltgemacht worden ist. Nun, ich würde mir als Täter einfach Kopfhörer und Radio schnappen und in aller Seelenruhe weiterspazieren. Deshalb würde ich jede Wette abschließen, dass er selbst gefilmt hat. Ich halte es für absolut unwahrscheinlich, dass es ein anderer war. Und außerdem bin ich felsenfest davon überzeugt, dass dieser Bursche irgendein krummes Ding vorhatte. Ganz gleich, wozu er die Spionageausrüstung auch benutzt haben mag,
er war der Einzige, der davon wusste. Dumm ist nur, dass es keine Aufnahmen vom Täter gibt, also von dem Kerl, der ihn umgenietet hat. Und das ist wichtig. Warum hat die Kamera im Kopfhörer es nicht gefilmt, wenn er beim Gassigehen von jemandem überfallen worden ist?«
»Der Kopfhörer hat deshalb nichts gefilmt, weil der Mann den Täter nicht gesehen hat«, erwidert Lucy. »Er hat ihn nicht angeschaut.«
»Ausgehend von der Annahme, dass eine andere Person für seinen Tod verantwortlich ist«, halte ich den beiden vor Augen.
»Richtig«, stimmt Lucy zu. »Der Kopfhörer zeichnet alles auf, worauf der Träger den Blick richtet. Die Kamera auf seinem Scheitel zeigt nach vorn wie ein drittes Auge.«
»Dann hat der Killer sich von hinten angeschlichen«, folgert Marino. »Und es ging so schnell, dass das Opfer keine Chance mehr hatte, sich umzudrehen. Entweder das, oder wir haben es mit einem Scharfschützen zu tun. Vielleicht wurde er ja aus großer Entfernung erschossen. Zum Beispiel mit einem Giftpfeil. Gibt es nicht Gifte, die Blutungen auslösen? Das mag an den Haaren herbeigezogen sein, doch solcher Mist geschieht hin und wieder. Erinnert euch an den KGB-Spion, der mit einem Regenschirm gestochen wurde. Die Spitze war mit Rizin getränkt. Es geschah an einer Bushaltestelle, und niemand hat etwas gemerkt.«
»Der Mann war ein bulgarischer Dissident, der für die BBC gearbeitet hat. Ob es ein Regenschirm war, steht bis heute nicht fest. Und du verirrst dich ohne Landkarte immer tiefer im Wald«, entgegne ich.
»Außerdem fällt man von Rizin nicht auf der Stelle tot um«, ergänzt Lucy. »Die meisten Gifte wirken nicht so schnell. Nicht einmal Zyanid. Ich glaube nicht, dass er vergiftet wurde.«
»Meine Erfahrung als Polizist ist meine Landkarte«, meint
Marino zu mir. »Ich setze meine Fähigkeiten im Schlussfolgern ein. Man nennt mich nicht umsonst Sherlock.« Mit seinem kräftigen Zeigefinger tippt er sich an die Baseballkappe.
»Kein Mensch nennt dich Sherlock«, ertönt Lucys Stimme vom Rücksitz.
»Deine Beiträge sind nicht sehr hilfreich«, sage ich bestimmt und betrachte seine massige Gestalt am Steuer und seine riesigen Pranken auf dem Lenkrad, das, selbst wenn er sein sogenanntes Kampfgewicht hat, seinen Bauch streift.
»Bist du nicht diejenige, die mir immer predigt, ich sollte über den Tellerrand hinausschauen?« Sein Tonfall ist schneidend und rechtfertigend.
»Ratespielchen bringen uns nicht weiter, und Punkte miteinander zu verbinden, die womöglich die falschen sind, ist Leichtsinn, und das weißt du ganz genau«, sage ich zu ihm.
Marino hatte schon immer einen Hang zu voreiligen Schlussfolgerungen, doch seit er die Stelle in Cambridge angenommen hat und wieder für mich arbeitet, ist es noch schlimmer geworden. Ich schiebe es auf die ständige Präsenz des Militärs in unserem Leben, die so allgegenwärtig ist wie die gewaltigen Transportmaschinen, die tief über Dover hinwegfliegen. Genau genommen gebe ich Briggs die Schuld. Marino vergöttert diesen mächtigen Forensiker, der außerdem General in der
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