Bastard
Army ist, auf eine geradezu lächerliche Art und Weise. Meine Verbindungen zum Militär haben ihn hingegen nie gekümmert. Er hat sie nicht einmal zur Kenntnis genommen, weder als Teil meiner Vergangenheit, noch als ich nach den Anschlägen vom 11. September wieder in den aktiven Dienst versetzt wurde. Marino hat meine Beziehungen zur Regierung schon immer ignoriert und tut so, als wären sie nicht vorhanden.
Er blickt starr geradeaus. Die Scheinwerfer eines herannahenden Autos beleuchten sein Gesicht, das Missstimmung
und die für ihn so typische Verständnislosigkeit ausdrückt. Ich könnte ihn bemitleiden, denn ich möchte nicht abstreiten, dass ich ihn gernhabe. Aber nicht jetzt. Nicht unter diesen Umständen. Er soll nicht merken, wie aufgebracht ich bin.
»Was hast du Briggs sonst noch mitgeteilt – abgesehen von deinen Theorien?«, erkundige ich mich bei Marino.
Als er nicht antwortet, tut es Lucy für ihn. »Briggs hat dieselben Aufnahmen gesehen, die ich dir jetzt zeigen werde«, erwidert sie. »Es war nicht meine Idee, und ich habe sie ihm auch nicht gemailt, nur um das klarzustellen.«
»Was genau hast du ihm nicht gemailt?« Allerdings weiß ich es bereits, und mein Entsetzen wächst. Marino hat Briggs Beweise zukommen lassen. Obwohl es mein Fall ist, hat Briggs die Informationen als Erster erhalten.
»Er hat nachgefragt«, erklärt Marino, als ob das ein triftiger Grund wäre. »Was hätte ich ihm denn sagen sollen?«
»Gar nichts. Du hast über meinen Kopf hinweg gehandelt. Es ist nicht sein Fall«, entgegne ich.
»Ja, nun, eigentlich schon«, meint Marino. »Er wurde vom Gesundheitsminister ernannt, was heißt, dass er praktisch vom Präsidenten selbst eingestellt worden ist. Also steht er, wenn man es so betrachtet, in der Hierarchie über allen Anwesenden in diesem Auto.«
»General Briggs ist nicht der Chief Medical Examiner von Massachusetts, und du arbeitest nicht für ihn, sondern für mich.« Ich lege mir meine Worte sorgfältig zurecht und versuche, so ruhig und gelassen zu klingen, wie ich es auch tue, wenn ein feindseliger Verteidiger mich im Zeugenstand auseinandernehmen will. Oder wenn Marino kurz vor einem Wutausbruch steht. »Der Tätigkeitsbereich des CFC ist nicht klar umrissen. In gewissen Situationen kann es Fälle übernehmen, für die eigentlich die Bundesbehörden zuständig sind. Das mag manchmal ein wenig verwirrend sein. Unser
Institut ist eine Gemeinschaftsinitiative der Regierungen von Bundesstaat und Bund, dem Massachusetts Institute of Technology und Harvard. Da dieses Konzept noch nie da gewesen ist, birgt es seine Fallstricke. Und genau deshalb hättest du die Angelegenheit mir überlassen sollen, anstatt mich zu übergehen. « Ich bemühe mich um einen sachlichen Ton. »General Briggs verfrüht, um nicht zu sagen, überstürzt in den Fall einzuweihen kann nämlich dazu führen, dass die Dinge eine Eigendynamik entwickeln. Aber was geschehen ist, ist geschehen.«
»Was soll das heißen? Was geschehen ist?« Marino hört sich schon weniger selbstbewusst an. Ich bemerke einen besorgten Unterton, werde ihm allerdings nicht aus der Patsche helfen. Er soll über den Zwischenfall nachdenken, denn er hat ihn schließlich zu verantworten.
»Und wie lauten die nicht so guten Nachrichten?« Ich drehe mich zu Lucy um.
»Schau selbst«, erwidert sie. »Das sind die letzten drei Aufnahmen und ein paar kurze andere Schnipsel.«
Das Display des iPads leuchtet hell und bunt in der Dunkelheit. Ich berühre das Symbol der ersten Videodatei, die Lucy ausgesucht hat. Der Film beginnt. Nun sehe ich das, was auch der Tote am gestrigen Tag um 15 Uhr 04 gesehen hat: einen schwarzweißen Greyhound, zusammengerollt auf einem blauen Sofa in einem Wohnzimmer mit Fichtenholzparkett und einem blauroten Teppich.
Die Kamera bewegt sich mit dem Mann, weil er sie am Kopfhörer trägt. Dabei nimmt das Gerät die folgenden Gegenstände auf: einen mit ordentlich gestapelten Büchern und Papieren bedeckten Couchtisch und etwas, das wie spezielles Zeichenpapier für Architekten oder Ingenieure aussieht, mit einem Bleistift darauf. Dazu ein Fenster mit geschlossenen
Fensterläden aus Holz, ein Schreibtisch mit zwei großen Flachbildschirmen, zwei silberne MacBooks, ein Telefon, möglicherweise ein iPhone auf einer Ladestation, eine Pfeife aus bernsteinfarbenem Glas in einem Aschenbecher, eine Stehlampe mit grünem Schirm, ein Hundebett aus Fleece und herumliegende Spielzeuge. Ich erhasche einen
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