Bastard
Medical Center in Washington, D.C., militärische Autopsieberichte überprüfen. Wenn meine Schulden erst einmal abbezahlt seien, stünde mir eine feste Stelle in der zivilen Rechtsmedizin offen.
Womit ich nicht gerechnet hatte, war Südafrika im Dezember 1987, Sommer auf diesem weit entfernten Kontinent. Noonie Pieste und Joanne Rule, Dokumentarfilmerinnen und etwa in meinem Alter, waren an Stühle gefesselt, geschlagen und mit dem Messer traktiert worden. Dann hatten die Täter den beiden Frauen zerbrochene Flaschen in die Vagina gestoßen und ihnen die Luftröhre herausgerissen. Morde aus Rassenhass, verübt an zwei jungen Amerikanerinnen. »Sie fliegen nach Kapstadt«, wies Briggs mich an. »Um den Fall zu untersuchen und die Leichen zu überführen.« Propaganda des Apartheidregimes. Lügen und noch mehr Lügen. Warum die beiden und warum ich?
Auf dem Weg die Treppe hinunter in die Vorhalle versuche ich, nicht daran zu denken. Weshalb erinnere ich mich überhaupt? Doch ich kenne den Grund. Seit ich heute Morgen am Telefon angeschrien und beschimpft worden bin, stehen mir die Ereignisse von vor zwanzig Jahren wieder klar vor Augen. Die verschwundenen Autopsieberichte und mein durchwühltes Gepäck. Die Gewissheit, dass man mir ans Leben wollte, ein Unfall zur rechten Zeit, ein Selbstmord oder ein inszenierter Mord wie der an den beiden Frauen, die ich so deutlich
vor mir sehe wie damals. Bleich und steif auf Stahltischen. Ihr Blut floss durch Rinnen auf dem Boden eines Autopsiesaals, der so miserabel ausgestattet war, dass wir die Schädeldecken mit Handsägen öffnen mussten. Es gab kein Röntgengerät, und ich musste meine eigene Kamera mitbringen.
Ich gebe meinen Schlüssel an der Rezeption ab und lasse mein Telefonat mit Briggs Revue passieren. Plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Ich weiß nicht, warum ich die Wahrheit nicht sofort erkennen konnte, und ich denke an seinen abweisenden Tonfall und seine kühle Gleichgültigkeit, als ich ihn durch die Fensterscheibe beobachtet habe. Ich habe ihn schon öfter so reden gehört, doch für gewöhnlich wendet er sich dann an andere, und es geht um ein Problem, dessen Tragweite seine Befugnisse übersteigt. Hier ist mehr im Spiel als nur seine persönliche Meinung über mich. Es ist nicht nur eine Frage seiner typisch berechnenden Art und unserer von tragischen Ereignissen überschatteten Vergangenheit.
Jemand übt Druck auf ihn aus, und zwar nicht der Pressesprecher noch sonst irgendwer in Dover, sondern jemand, der eine Etage höher sitzt. Ich bin sicher, dass Briggs sich mit Washington abgesprochen hat, nachdem Marino nicht den Mund hat halten können. Warum musste er nur die wildesten Mutmaßungen verbreiten, bevor ich Gelegenheit hatte, auch nur ein Wort zu äußern? Marino hätte niemals über den Fall in Cambridge oder über mich sprechen dürfen. Damit hat er eine Lawine losgetreten, deren Ursache und Folgen er nicht versteht. Überhaupt versteht er eine ganze Menge nicht. Er war nie beim Militär, hat nie für die Bundesregierung gearbeitet und ist in Sachen internationale Politik völlig ahnungslos. Marino besitzt nicht das geringste Gespür für Macht von der Art, die eine Präsidentschaftswahl zum Kippen bringen oder einen Krieg vom Zaun brechen kann.
Ohne Zustimmung des Verteidigungsministeriums hätte
Briggs niemals vorgeschlagen, eine Militärmaschine nach Massachusetts zu schicken, um eine Leiche abzuholen. Eine Entscheidung wurde getroffen, und zwar eine, in der ich nicht vorkomme. Draußen auf dem Parkplatz steige ich in den Transporter. Ich bin so wütend, dass ich Marino keines Blickes würdige.
»Erzähl mir mehr über das Satellitenradio«, wende ich mich an Lucy, weil ich der Sache auf den Grund kommen und herausfinden will, was Briggs weiß – oder was man ihm weisgemacht hat.
»Ein Sirius Stiletto«, antwortet Lucy vom dunklen Rücksitz aus, während ich die Heizung hochdrehe, weil Marino stets schwitzt und wir anderen deshalb frieren müssen. »Im Grunde genommen nur ein Speichermedium für Dateien plus Stromquelle. Natürlich kann man es als tragbares Satellitenradio benutzen, was es eigentlich auch ist. Aber der Kopfhörer ist sehr interessant, kein Meisterwerk zwar, doch technisch gut umgesetzt.«
»Es sind eine stecknadelkopfgroße Kamera und ein Mikro eingebaut«, ergänzt Marino beim Fahren. »Deshalb glaube ich, dass unser Toter ein Spion war. Er muss doch gewusst haben, dass ein audiovisuelles Aufnahmegerät
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