Bastard
in seinem Kopfhörer steckt.«
»Vielleicht hat er es tatsächlich nicht gemerkt. Jemand hätte ihm nachschnüffeln können, ohne dass er etwas davon ahnte«, sagt Lucy zu mir, und ich spüre, dass sie und Marino bereits über dieses Thema gestritten haben. »Das Loch befindet sich zwar oben am Bügel, allerdings an der Kante, wo man es kaum sieht. Und selbst wenn, würde man nicht unbedingt an eine schnurlose Kamera, kleiner als ein Reiskorn, ein ebenso winziges Mikrofon und einen Bewegungsmelder denken, der sich nach neunzig Sekunden in den Ruhezustand versetzt, falls sich nichts tut. Der Typ ist mit einer
Mini-Webcam herumgelaufen, die ihre Aufnahmen auf der Festplatte des Radios und außerdem auf einer SD-Karte mit acht Gigabyte Speicherplatz gesichert hat. Es ist zu früh, um zu sagen, ob er es wusste – mit anderen Worten also, ob er das Ding selbst gebastelt hat. Mir ist klar, dass Marino davon ausgeht. Aber ich bin mir da nicht so sicher.«
»Gehört die SD-Karte zum Standardzubehör des Radios, oder wurde sie nachträglich eingebaut?«, erkundige ich mich.
»Nachträglich. Also eine ganze Menge Speicherplatz. Mich würde interessieren, ob die Dateien in regelmäßigen Abständen auf einen anderen Rechner heruntergeladen wurden, zum Beispiel auf seinen Computer zu Hause. Wenn wir den in die Finger kriegen, erfahren wir vielleicht, was hier gespielt wird.«
Damit will Lucy sagen, dass uns die bis jetzt von ihr gesichteten Videodateien nicht viel weiterhelfen. Außerdem vermutet sie, dass der Tote zu Hause einen Computer, möglicherweise sogar mehrere, stehen hat. Allerdings hat sie noch keinen Hinweis darauf entdeckt, wo er gewohnt hat oder wer er ist.
»Die Aufnahmen auf Festplatte und SD-Karte lassen sich nur bis zum 5. Februar zurückverfolgen, also bis zum letzten Freitag«, fährt sie fort. »Ob das heißt, dass die Überwachung gerade erst begonnen hat, kann ich nicht feststellen. Wahrscheinlicher ist, dass die Dateien heruntergeladen und dann von der Festplatte und der SD-Karte gelöscht wurden, denn sie brauchen ziemlich viel Speicherplatz. Deshalb handelt es sich hier vermutlich nur um die Aufnahmen aus jüngster Zeit, was jedoch nicht bedeuten muss, dass es nicht noch andere gibt.«
»Dann werden die Videoaufzeichnungen sicher von einem fremden Rechner heruntergeladen.«
»So würde ich es wenigstens machen, wenn ich die Spionin
wäre«, erwidert Lucy. »Ich würde mich in die Webcam einloggen und herunterladen, was mir gefällt.«
»Was ist mit Beobachtungen in Echtzeit?«, frage ich.
»Wenn jemand ihn ausspioniert hat, konnte sich derjenige in die Webcam einklinken und ihm bei allem zuschauen.«
»Um ihm nachzustellen? Ihn zu beschatten?«
»Das wäre einer der Gründe. Vielleicht auch, um Informationen über ihn zu sammeln oder ihm nachzuschnüffeln. Wie es manche Leute tun, wenn sie glauben, dass ihr Partner sie betrügt. Alles, was du dir vorstellen kannst, ist auch möglich. «
»Dann könnte er auch seinen eigenen Tod gefilmt haben.« Ich spüre, wie ein Funke Hoffnung in mir aufsteigt, obwohl mich die Vorstellung gleichzeitig bestürzt. »Ich füge hinzu, unwissentlich, weil wir noch mit zu vielen Unbekannten zu tun haben. Wir können zum Beispiel nicht sagen, ob er ein Selbstmörder ist und seinen eigenen Tod absichtlich aufgenommen hat. Zu diesem Zeitpunkt möchte ich noch nichts ausschließen.«
»Ein Selbstmörder ist er auf gar keinen Fall«, protestiert Marino.
»Zu diesem Zeitpunkt sollten wir noch nichts ausschließen«, wiederhole ich.
»Oder ein Amokläufer«, meint Lucy. »Wie an der Columbine High School oder in Fort Hood. Vielleicht wollte er in Norton’s Woods so viele Menschen wie möglich mitnehmen und sich anschließend selbst umbringen. Aber etwas ist dazwischengekommen und hat ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht.«
»Wie haben es mit zu vielen Unbekannten zu tun«, beharre ich.
»Im Magazin der Glock waren siebzehn Schuss, eine Patrone steckte in der Kammer«, erklärt Lucy. »Eine Menge
Munition. Eindeutig genug, um jemandem die Hochzeit zu verderben. Wir müssen rauskriegen, wer geheiratet hat und wer die Gäste waren.«
»Die meisten Selbstmordattentäter haben zusätzliche Magazine bei sich«, entgegne ich. Ich weiß alles über die Amokläufe in Fort Hood, an der Virginia Tech und den viel zu vielen anderen Orten, wo Täter, ungeachtet der Identität ihrer Opfer, das Feuer auf ihre Mitmenschen eröffnet haben. »Für gewöhnlich haben
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