Bastard
versuche ich weiter, ihr etwas zu entlocken.
»Ich weiß, wie schwierig es ist, unter diesen Umständen Kontakte zu pflegen«, erwidert sie. »Immer wenn wir glaubten, dass du zurückkommst, ist etwas passiert, bis wir die Hoffnung irgendwann aufgegeben haben.«
Das Ende meines Aufenthalts ist dreimal aufgrund von dringenden Angelegenheiten verschoben worden. Der Abschuss von zwei Helikoptern mit dreiundzwanzig Toten an einem einzigen Tag im Irak. Der Amoklauf in Fort Hood. Das Erdbeben in Haiti. Da das Rechtsmedizinische Institut der Streitkräfte zuständig war und jede Kraft gebraucht wurde, hat sich Briggs geweigert, mich aus dem Lehrgang zu entlassen. Und vor ein paar Stunden hat er mit seinem Vorschlag, ich solle doch in Dover bleiben, schon wieder versucht, meine Abreise hinauszuzögern. Anscheinend möchte er meine Rückkehr nach Hause verhindern.
»Ich habe schon befürchtet, dass wir in Dover eintreffen und herausfinden, dass du noch eine Woche, zwei Wochen oder einen Monat lang dort festsitzt«, fügt Lucy hinzu. »Aber du bist fertig.«
»Offenbar haben sie mich allmählich satt.«
»Wollen wir hoffen, dass du nicht gleich nach der Ankunft zurückmusst.«
»Ich habe die Abschlussprüfung bestanden. Es gibt nichts mehr zu tun. Außerdem muss ich ein Institut leiten.«
»Jemand sollte es leiten. So viel steht fest.«
Ich habe keine Lust, mir weitere Kritik an Jack Fielding anzuhören.
»Und ist sonst alles in Ordnung?«, frage ich.
»Die Garage ist fast fertig. Trotz Waschecke ist sie groß genug für drei Autos. Vorausgesetzt, ihr parkt hintereinander.« Sie gibt mir die neuesten Informationen zum Thema Bauarbeiten, was mich daran erinnert, wie sehr ich zu den Vorgängen in meinem eigenen Haus den Kontakt verloren habe. »Der Bodenbelag aus Kunststoff wurde schon verlegt, doch die Alarmanlage ist noch nicht fertig. Sie wollten sich nicht mit Kontakten in den Fensterscheiben abgeben, aber ich habe darauf bestanden. Leider hat eines der alten Originalfenster aus gewelltem Glas den Umbau nicht überstanden. Also zieht es momentan ein bisschen in deiner Garage. Wusstest du Bescheid? «
»Benton kümmert sich darum.«
»Nun, er war beschäftigt. Hast du die Frequenz für Millville? Ich glaube, es ist eins-zwei-drei-Komma-sechs-fünf.«
Ich konsultiere die Karte, bestätige die Frequenz und gebe sie in Comm 1 ein. »Wie fühlst du dich?«, versuche ich es erneut.
Ich möchte wissen, was mich – außer einem Toten in der Kühlkammer meines Instituts – zu Hause sonst noch erwartet. Doch Lucy verrät es mir nicht, und nun macht sie Benton zum Vorwurf, dass er beschäftigt ist. Solche Äußerungen meint sie nie wörtlich. Sie ist sehr angespannt und starrt abwechselnd auf die Instrumente, die Radarschirme und aus dem Fenster
des Cockpits, als rechnete sie mit einem feindlichen Flugzeug, einem Blitzschlag oder einem Motorschaden. Ich habe den Eindruck, dass etwas nicht in Ordnung ist. Aber vielleicht liegt es ja auch an meiner Stimmung.
»Er hat einen wichtigen Fall«, ergänze ich. »Einen ausgesprochen unschönen.«
Wir wissen beide, welchen Fall ich meine. Sämtliche Nachrichtensendungen haben darüber berichtet. Johnny Donahue, Patient im McLean Hospital und Student in Harvard, hat letzte Woche gestanden, einen sechsjährigen Jungen mit einer Nagelpistole umgebracht zu haben. Benton hält das Geständnis für falsch, weshalb Polizei und Staatsanwaltschaft nicht sehr zufrieden mit ihm sind. Alle wünschen sich ein wahrheitsgemäßes Geständnis, weil sie die Vorstellung nicht ertragen, der Täter könne noch auf freiem Fuß sein. Ich frage mich, wie die heutige Begutachtung verlaufen ist, und denke an die Videoaufzeichnung, die zeigt, wie Bentons schwarzer Porsche 911 rückwärts aus unserer Einfahrt rangiert. Er war unterwegs ins McLean, um Johnny Donahues Fallakte zu holen, als ein junger Mann mit seinem Greyhound an unserem Haus vorbeiging. Das Kleine-Welt-Phänomen. Die soziale Vernetzung, die auf Erden miteinander verbindet.
»Lass uns eins-zwei-sieben-Komma-drei-fünf auf Comm 2 behalten, damit wir wissen, was sich in Philadelphia tut«, sagt Lucy. »Allerdings werde ich von ihrer Class B fernbleiben. Ich denke, das müsste zu schaffen sein, falls dieses Zeug von der Küste nicht noch näher kommt.«
Sie deutet auf die grünen und gelben Symbole auf dem Satelliten-Wetterradar, die zeigen, dass Niederschläge heranrücken, als wollten sie uns nach Nordwesten in die hell erleuchtete
Weitere Kostenlose Bücher