Bastard
eindringen und mit ein wenig Glück durch Herumspielen an den Hebeln und Schaltern versehentlich den Motor starten könnte. Bei abgeklemmter Batterie ist das nicht möglich. Selbst wenn Lucy in Eile ist, führt sie vor dem Start eine gründliche Überprüfung durch, insbesondere falls der Helikopter unbewacht war, selbst auf einem Militärstützpunkt. Allerdings entgeht mir nicht, dass sie alles noch sorgfältiger untersucht als sonst. So, als hätte sie einen Verdacht oder ein ungutes Gefühl.
»Alles in Ordnung?«, frage ich sie. »Alles startklar?«
»Darüber vergewissere ich mich ja gerade«, entgegnet sie, und ich spüre, dass sie mich abwimmeln will. Sie hat Geheimnisse.
Lucy traut niemandem. Und das sollte sie auch nicht. Ich hätte einigen Leuten auch nicht trauen dürfen, und zwar von Anfang an. Menschen, die andere beeinflussen und belügen und vorgeben, es für eine gute Sache zu tun. Für eine richtige, gottgewollte oder gerechte Sache. Noonie Pieste und Joanne Rule wurden im Bett erstickt, vermutlich mit einem Kissen. Deshalb hat ihr Gewebe nicht auf die Verletzungen reagiert. Die sexuellen Übergriffe, die mit einer Machete und Glasscherben beigebrachten Schnittwunden, ja selbst das Fesseln an die Stühle – all das geschah erst nach ihrem Tod. Nach Ansicht der Verantwortlichen eine gottgewollte, gerechte Sache. Eine beispiellose Ungeheuerlichkeit, und sie sind ungeschoren davongekommen. Bis zum heutigen Tag wurden sie nicht
zur Rechenschaft gezogen. Grüble nicht darüber nach. Schau nach vorn, nicht zurück.
Ich öffne die linke vordere Tür und klettere eine Kufe hinauf. Der Wind zerrt an mir. Nachdem ich mich an der Steigerungssteuerung und an der Blattverstellung vorbeigezwängt und auf dem linken Sitz Platz genommen habe, schließe ich meinen Vierpunktgurt. Ich höre, wie Marino die Tür hinter mir aufmacht. Er bewegt sich geräuschvoll und raumgreifend, und ich spüre, wie der Helikopter unter seinem Gewicht in die Knie geht, als er wie immer hinten einsteigt. Selbst wenn er allein mit Lucy fliegt, darf er nicht vorn sitzen. Dort befinden sich nämlich Kontrollhebel, an die er versehentlich stoßen oder die er, ohne nachzudenken, als Armlehne benutzen könnte. Er ist und bleibt ein Elefant im Porzellanladen.
Lucy steigt ebenfalls ein und beginnt mit der nächsten Sicherheitsüberprüfung. Ich helfe ihr, indem ich die Checkliste halte und sie gemeinsam mit ihr durcharbeite. Ich hatte noch nie das Bedürfnis, die verschiedenen Maschinen zu fliegen, die Lucy im Lauf der Jahre besessen hat. Ich möchte auch nicht ihre Motorräder oder ihre schnellen italienischen Autos fahren. Aber ich bin eine gute Copilotin und kenne mich mit Landkarten und Navigation aus. Ich weiß, wie man Funkgeräte auf die richtige Frequenz einstellt oder Rufzeichen und andere Informationen in den Transponder oder das Chelton Flight System eingibt. Im Notfall könnte ich den Helikopter wohlbehalten landen, auch wenn das bestimmt kein schöner Anblick wäre.
»Über-Platz-Schalter aus«, gehe ich weiter die Liste durch.
»Ja.«
»Unterbrecher an.«
»Richtig.« Lucys geschickte Finger berühren alles, was sie kontrolliert, während wir die laminierte Liste abarbeiten.
Sie schaltet kurz die Ladedruck-Pumpen ein und stellt den Steuerknüppel auf Leerlauf.
»Rechts alles klar.« Sie schaut aus dem Seitenfenster.
»Links alles klar.« Ich blicke auf die dunkle Rampe hinaus und betrachte das kleine Gebäude mit seinen erleuchteten Fenstern und eine Piper Club, die, in einem Sicherheitsabstand vertäut, im Schatten parkt. Ihre Plane flattert im Wind.
Als Lucy auf den Startknopf drückt, beginnt der Rotor, zunächst langsam und schwerfällig, sich zu drehen. Bald jedoch rattert er schneller als ein Herzschlag, und ich denke an den Mann, an seine Angst und das, was ich den drei Wörtern, die er gerufen hat, habe entnehmen können.
»Was zum …? Hey …!«
Was hat er empfunden? Was gesehen? Den Saum eines schwarzen Mantels. Eines weiten, schwarzen Mantels, der vorbeirauschte? Wessen Mantel? Ein Wollmantel oder ein Trenchcoat? Ein Pelzmantel war es nicht. Wer ist der Träger dieses langen schwarzen Mantels? Jemand, der nicht stehengeblieben ist, um dem Mann zu helfen.
»Was zum …? Hey …!« Ein erschrockener Schmerzensschrei.
Immer wieder lasse ich die Szene Revue passieren. Der abrupte Wechsel des Kamerawinkels. Im nächsten Moment richtete sich die Linse direkt nach oben auf kahle Äste und einen grauen
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