BASTET (Katzendämmerung) (German Edition)
jetzt fest dazu entschlossen, jedes noch so schwache Bild von ihr in mir wachzurufen.
Wie ein Blinder durchstreife ich das Zimmer ohne anzustoßen. Ich muss nicht lange in den Schubladen des alten Sekretärs stöbern; fast alle sind überfüllt mit angebrochenen Zigarettenschachteln, Zeugen meiner kläglichen Versuche, das Rauchen aufzugeben. Der glühende Tabak knistert laut, als ich zwei tiefe Züge nehme. Im Spiegel vor mir kann ich mein Gesicht nur als dunklen Schemen erkennen, unheimlich beschienen von der glühenden Spitze der Zigarette. Ein pulsierender Stern inmitten eines Kosmos, der einst Nataschas Reich umschloss und in dem ich nun verloren bin.
Ein zorniges Fauchen und Knurren zerstört meine Melancholie. Raufende Katzen. Überall scheine ich von ihnen umgeben zu sein. Aber sie stören mich nicht. Sie sind willkommen, sind sie es doch, die mich bis ans Ende meiner Tage an Natascha erinnern werden. Sie hat meine Einstellung diesen Tieren gegenüber stark beeinflusst. Ich lernte die Katzen mit ihren Augen sehen, verstand sie als das zu akzeptieren, was sie waren: unabhängige, stolze Individuen, frei zu tun, was sie begehren; an nichts und niemanden gebunden. Ein Lebensstil, den auch Natascha zu verwirklichen suchte. Wenn sie damals zu unserer Verabredung erschien, dann geschah dies nur, weil sie es wollte, nichts anderes gab den Ausschlag dafür. Sie tat nichts aus Höflichkeit oder Mitleid, oder weil alle es taten; ihre einfache, aber kompromisslose Lebensphilosophie kannte keine Ausnahmen.
Der Geschmack von Zigarettenfilter brennt auf meiner Zunge. Hastig fingere ich nach einer neuen Zigarette und entzünde sie an der winzigen Kippe; eine Geste, die eines Winos aus Harlem würdig gewesen wäre. Ich konzentriere mich auf die grau-blauen Rauchschwaden, die träge zum offenen Fenster ziehen. Lange blicke ich nur in waberndes Dunkel; erst als ein stechendes Brennen meine starr geweiteten Augen zum Schließen zwingen will, nimmt das Nichts Formen an.
Nach und nach sehe ich sie wieder vor mir stehen, so wie sie mir an jenem Abend im Restaurant entgegen trat, Natascha in einem schlicht geschnittenen schwarzen Kleid mit weißer Weste, das Gesicht von einem leichten, breitkrempigen Sommerhut verschattet, die Haare mit einer roten Spange nach oben gesteckt. Wie ich später noch feststellen sollte, setzte sich jedes ihre Kleider fast ausschließlich aus zwei Farben zusammen: Schwarz und Weiß. Sie liebte diese klare Trennung, die Einfachheit, den deutlichen Kontrast zwischen hell und dunkel. Ich meinte damals in ihrem Wesen bereits einen ähnlichen Kontrast festgestellt zu haben: Licht und Schatten. Aber für sie war der Ausdruck ›Kontrast‹ falsch gewählt; ihre beiden so verschiedenen Seiten stießen sich nicht ab, sondern ergänzten sich, verlangten nacheinander, so wie ihr wundervoll geformter Körper nach Schwarz und Weiß verlangte; jede andere Farbe hätte nur von ihrer eigentlichen Erscheinung abgelenkt. Sie gehörte nicht zu den Frauen, die es nötig hatten, mit bizarrer, ungewöhnlicher Mode auf sich aufmerksam zu machen.
Ich war bereits eine halbe Stunde vor der verabredeten Zeit im ›Floating Dragon‹ eingetroffen; um einer trockenen Kehle vorzubeugen, ließ ich mir ein Glas Perrier bringen. Unruhig brütete ich vor mich hin. Auch jetzt noch hatte ich nicht zu meiner alten Ruhe und Gelassenheit zurückgefunden. Als Phil mir an diesem Nachmittag die Fotos gezeigt hatte – sie waren gottlob recht brauchbar – wollte es mir einfach nicht gelingen, mich länger auf einzelne Bilder zu konzentrieren. Unter dem grellen Licht der Leuchtplatte verschwamm die Körnung der Aufnahmen zu einem einzigen Farbbrei. Der Blick durch die Lupe bereitete mir unerträgliche Kopfschmerzen. Schließlich gab ich auf und überließ es Phil, eine erste Auswahl für Schuster & Wolfton zu treffen. Auf sein Urteil hatte ich mich bis jetzt immer verlassen können. Ich entschuldigte mich mit einem angeblich wichtigen Kundengespräch, welches ich noch zu führen hätte; ob er mir die Ausrede abnahm, ist fraglich. Auch ihm konnte nicht entgangen sein, wie abgelenkt und nervös ich war. Er vermied es aber taktvoll, mich daraufhin anzusprechen. Guter, alter Phil.
Ich hatte mich so platzieren lassen, dass ich den Eingang des Restaurants gut im Blick hatte. Bei jedem Öffnen der Tür war ich versucht, mir ein wenig Mut anzutrinken. Mit Perrier. Es war schon komisch, aber zu keinem Zeitpunkt beschlich mich die Befürchtung, die
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