BASTET (Katzendämmerung) (German Edition)
mich in nahezu jeder Situation wie ein unreifes Kind aussehen ließ. Verletzter Stolz war jetzt aber unangebracht; ich hatte später noch ausreichend Zeit, ihr Bild von mir wieder zurechtzurücken. Wenn es ein später überhaupt gab. Fieberhaft ging ich in Gedanken die in Frage kommenden Restaurants der Stadt durch: ›Blue Lion‹ – gutes Essen, aber zu laut; ›The Empress‹ – fast ausschließlich versteckte Zweiertischchen, für ein erstes Treffen vielleicht zu offensichtlich, zu plump.
»Wenn Sie nichts gegen asiatische Küche einzuwenden haben (ich schaute sie fragend an – es erfolgte kein Einspruch), wäre es mir eine Ehre, Sie heute in den ›Floating Dragon‹ einzuladen. Sagen wir um 20 Uhr?«
»20 Uhr wäre okay.«
»Und wo darf ich Sie abholen?«
»Nirgendwo.«
Noch bevor ich wusste, wie mir geschah, war meine Verabredung schon zum Ausgang geeilt. Die Tür in der Hand drehte sie sich nochmals zu mir um, wie in einem kitschigen Liebesfilm.
»Ich werde da sein«, versicherte sie mir, wobei zum ersten Mal ein regelrechtes Strahlen auf ihrem Gesicht lag. Dann schloss sich die Tür. Jenes Bild prägte sich fest in mein Bewusstsein, so als hätte ich es auf einem Stück Zelluloid belichtet: Ihr schlanker Körper, der sich gegen die Metallkante der Tür schmiegte, ihr Haar, welches durch den Windzug leicht zerzaust wurde, ihre Grübchen, ihre Lippen, auf denen es feucht schimmerte. Und ihre Augen. Ihre wundervollen, tiefen, unergründlichen Augen. Ich hoffte, dieses Bild niemals zu vergessen. Es würde mir gehören, wie ein kostbares Geschenk, selbst wenn ich diese Frau in meinem Leben nie mehr wiedersehen sollte.
Nachdem das Zischen der schließenden Tür verhallt war, stand ich allein im stickigen, knurrenden Rachen der Halle. Noch berührte es mich nicht. In meinem Inneren explodierte ein Feuerwerk. Wie ein psychedelischer Film flimmerte es vor meinen Augen. Hatte Glück so viele Farben? Nur langsam kam ich wieder auf den Boden der Tatsachen, nur widerstrebend wollte ich erkennen, wo ich mich befand. Ich war in einem Dschungel. Nur ich und die Katzen.
Auch jetzt war es ruhig. Und doch war die Stille um mich herum nicht so durchdringend, so vollkommen, wie ich sie in IHRER Gegenwart erlebt – ja, erlitten – hatte. Vereinzeltes Knurren und Laufgeräusche erfüllten die Luft. Irgendwo kratzten ausgefahrene Krallen über Zementboden. Die Gegenwart der Tiere war jederzeit präsent. In Gedanken versunken drehte ich mich zu jenem Käfig um, dessen Bewohner so überaus anziehend zu sein schien – für eine bestimmte Person wenigstens. Wieder wurde ich von diesen großen Bernsteinmurmeln aufmerksam fixiert. Hatten sie es etwa die ganze Zeit über getan? Hatte dieser ungewöhnliche 'Löwentiger' unsere Unterhaltung ähnlich interessiert verfolgt? Was stellte ich mir nur für dumme Fragen. Selbst wenn das Tier jedes Wort verstanden hätte, so konnte es mir eines gewiss nicht sagen … In meiner Aufregung hatte ich völlig vergessen, meine dunkelhaarige Schöne nach ihrem Namen zu fragen.
Stumm standen wir voreinander – der mächtige Liger und der kleine Fotograf. Auge in Auge. »Du musst etwas besitzen, alter Bursche, um das Dich so mancher Mann beneiden würde«, murmelte ich vor mich hin. Der unbewegliche Blick bewahrte sein Geheimnis. Schulterzuckend machte ich kehrt. Ich war gerade zwei Schritte gegangen, als mich ein gewaltiges Brüllen zusammenschrecken ließ. War das die Antwort? Ohne mich umzudrehen, ging ich hinaus.
Mich befiel eine seltsame Erleichterung, als ich endlich wieder im Freien war. Die Wolken waren aufgerissen und ließen die Sonne hindurch. Ihre wärmenden Strahlen auf meiner Haut wirkten beruhigend. Ich wusste nicht, woran es lag, aber etwas war in dieser grünlich schimmernden Finsternis der Käfige, was mich ängstigte; etwas, was ein Esoteriker wohl mit unheilvollen Schwingungen umschrieben hätte.
Der Krampf in meinen Händen lockert sich ein wenig, der Boden unter mir ist wieder so fest wie eh und je. Kein Schwanken mehr. Langsam und tief atme ich die Nachtluft durch meine Nase; wie kühles Menthol rinnt sie durch mich hindurch. Sonderbar. Die genaue Rekonstruktion meiner ersten Begegnung mit Natascha, nur in zähem Kampf meinem Unterbewusstsein abgerungen, wirkt wie ein Schub Adrenalin, der plötzlich meine Blutbahnen überflutet. Ein gutes Gefühl.
Alles, was mich an Natascha erinnert, hat eine ähnlich positive Wirkung auf mich. Fast alles. Wie auch immer; ich bin
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