BASTET (Katzendämmerung) (German Edition)
verstummte Natascha plötzlich. Ihre Züge verrieten Verwirrung, wenn nicht sogar leichte Bestürzung. Die in Falten gezogene Stirn zeigte mir für einen kurzen Moment ein völlig anderes Gesicht, ein erneuter Beweis für ihre außergewöhnliche Wandlungsfähigkeit. Hatte sie mir doch mehr über sich erzählt, als ihr lieb war? Wenn ja, so gelang es ihr bravourös, dieses Missgeschick zu überspielen. Mit einem lässigen Lächeln auf den Lippen verzierte sie ihren Reis mit süß-saurer Sauce. Das Essen bot ihr eine willkommene Abwechslung.
»Fütterung der Raubtiere«, grinste sie mit einem Augenzwinkern.
Die Geschwindigkeit, mit der Natascha daraufhin ihre Portion verspeiste, besser verschlang, bewies, wie sehr dieser eigentlich spaßige Vergleich für sie zutraf. Sie aß, als habe sie gerade an diesem Abend eine dreimonatige Hungerkur beendet. Ich konnte ein ungläubiges Schmunzeln einfach nicht unterdrücken. Gebannt starrte ich auf ihre Gabel, die in unvermindertem Tempo zwischen Teller und Mund hin und her wanderte. Beinahe hätte ich vergessen, selbst etwas von meinem Gericht anzurühren. Mein fortwährend kauendes und schlingendes Gegenüber schien nichts Besonderes an seiner Art der Nahrungsaufnahme zu finden. Die Fortsetzung unseres Gesprächs musste also bis zum Dessert warten.
Nach einer geraumen Zeit der Stille, die nur vom Klappern des Bestecks untermalt worden war, sah ich, wie Nataschas Blick von meiner noch halb gefüllten Reisschüssel zu mir, von dort zum Reis und dann wieder zu mir wanderte.
»Dasch Eschen isch wirklisch köschtlich«, nuschelte sie mit vollem Mund. Sie kaute ein großes Stück, schluckte und kaute weiter. »Aber recht knapp bemessen«, fuhr sie fort. Ein kurzes Zögern folgte. »Mhmmm, wenn Sie Ihren Reis nicht mehr mögen, so hätte ich dafür Verwendung.«
Ich lachte nun ganz offen; bereitwillig schob ich ihr auch die Schale mit meinem restlichen gebratenen Schweinefleisch zu.
»Bitte bedienen Sie sich nur! Heute habe ich sowieso keinen großen Appetit«, log ich.
Sie war nicht die Spur peinlich berührt. Ungeniert entleerte sie den Inhalt beider Schalen auf ihrem Teller und ließ dann alles so schnell wieder in ihrem Mund verschwinden, als gelte es einen neuen Guiness-Rekord im Sweet-and-Sour-Pork -Essen aufzustellen.
»Wo tun Sie das alles nur hin«, staunte ich kopfschüttelnd. Ich tupfte meinen Mund mit einer Serviette ab, nach dem eher kargen Mahl mehr eine Geste der Gewohnheit als der Notwendigkeit. »Nach Ihrer Figur zu urteilen, dürften Sie kaum mehr als ein Spatz verzehren.«
Für drei, vier Herzschläge vergaß sie zu kauen, ein Zeichen, wie sehr sie meine Bemerkung beschäftigte. Sie wollte mir direkt antworten, besann sich aber und schluckte die Reste nun nur noch schneller herunter. Mit einem Schluck Perrier spülte sie gründlich nach. Ihre Augen funkelten schalkhaft.
»Sie würden sich wundern«, sagte sie, »wenn ich zu Hause für mich alleine koche, ist das hier nur ein kleines Hors d'oeuvre . Eigentlich bin ich immer hungrig. Auf alles.«
Es gehörte nicht viel Fantasie dazu, diesen direkten, gierigen Blick zu deuten. Mir war, als gleite langsam ein Eiswürfel meinen Rücken hinab, während sich in der Gegenrichtung ein Schneidbrenner seinen feurigen Weg bahnte.
»Aber befürchten Sie denn nie, sich manchmal den Magen zu verderben?«, ging ich scheinbar arglos auf ihre Zweideutigkeiten ein.
Natascha legte ihren Kopf zur Seite und betrachtete mich eingehend, so als ob sie abschätzen wollte, wie naiv ich nun tatsächlich war.
»Warum sollte ich?«, fragte sie keck zurück. »Bis jetzt gab es nichts – in welcher Menge auch immer – was meinen Hunger vollständig gestillt hätte.«
Wir waren bereits beim Nachtisch angelangt ( Cup Denmark und Mousse-au-Chocolat ), als ich mich an den eigentlichen Grund unseres Treffens entsann.
»Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Natascha, dann wollten Sie mich doch etwas besser kennenlernen«, rief ich ihr ins Gedächtnis. »Mittlerweile weiß ich, dass Sie eine tierliebende Waise sind, die den Pelztierhandel verurteilt, fast täglich in den Zoo geht und einen Appetit für sechs ausgewachsene Holzfäller hat. Von mir dagegen wissen Sie nichts; höchstens, dass ich ein unbedeutender Fotograf bin, der sich für Geld auch zu – sagen wir – unpopulären Aufträgen verpflichten lässt und gerne Porträtaufnahmen von Ihnen machen würde. Der 'Status quo' also.«
Sie blickte mich über den Rand ihres
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