BASTET (Katzendämmerung) (German Edition)
Glücks. Der Gedanke tröstet nur wenig, ändert er doch nichts an meiner ausweglosen Lage. Und doch: Es ist unbestreitbar wahr, so wahr wie meine Liebe zu Natascha. Wer bin ich, dass ich für mich ein ewig günstiges Schicksal verlange? Doch nur ein Mensch. Eine nicht wahrnehmbare Einheit im Getriebe der Welt, dort, wo nichts, aber auch nichts für ewig besteht. Nur Göttern gehört die Ewigkeit.
Ein Schatten huscht am Fenster vorbei. Ich meine einen menschlichen Umriss erkannt zu haben. Könnte es …? Wie von Sinnen stürze ich nach vorn; nur knapp bewahrt mich die Fensterbank davor, abzustürzen. Nichts. Nur die stille, verlassene Straße unter mir. Natürlich. Gefährlich weit beuge ich mich heraus; auch das Vordach ist leer. Was habe ich eigentlich auch erwartet? Ich befinde mich hier im vierten Stock, keine Feuerleiter ist in erreichbarer Nähe. Habe ich wirklich geglaubt, jemand würde hier oben einen Nachtspaziergang machen, nur um mich zu ärgern?
Lächerlich. Nein, eher beunruhigend. Ich habe an keinen Nachtwandler oder Einbrecher gedacht; es fällt schwer, es mir einzugestehen, aber SIE war es, die ich auf der Straße oder dem Dach zu sehen erhofft habe. Natascha, wie sie mir lächelnd zuwinkt, der Wind in ihren Haaren spielend. Der Schatten am Fenster hatte deutlich weibliche Formen gehabt. Ich bin mir jetzt ganz sicher.
Psychologen kennen das Phänomen. Menschen, die ihren Partner auf tragische Weise verloren haben, meinen noch Jahre später, sie oder ihn in einer vorüberfahrenden U-Bahn gesehen zu haben. Manchmal, wenn sie ihre nun einsame Wohnung betreten, haben sie das sichere Gefühl, die geliebte Person habe sie erst kurz zuvor verlassen, vielleicht nur, um an der Ecke Zigaretten zu holen. In meinem Fall besitze ich allerdings mehr als nur eine bewegende Erinnerung. Ich habe ein Versprechen: »Warte! Ich lass' Dich nicht allein!« Ihre letzten Worte.
Oft danach habe ich mich gefragt, ob ich im Schock nicht alles falsch verstanden habe, ob nicht mein eigenes Wunschdenken einen Streich mit mir gespielt hat. »Warte! Lass' mich nicht allein!« hätte doch viel wahrscheinlicher bei einer Sterbenden geklungen.
Aber nein, kein Selbstzweifel kann mich davon abbringen; Natascha sagte genau das, was ich gehört habe. Wort für Wort. Noch immer liege ich im Fenster. Es muss kurz nach vier sein. Wie bei einer defekten Christbaumbeleuchtung tauchen winzige Lichtpunkte in den sonst noch dunklen Blocks auf. Während ich noch kein Auge zugetan habe, macht man sich dort bereits für die Frühschicht fertig. Sicher werden die lauten Klänge eines Radios den monotonen, alltäglichen Ablauf des Aufstehens begleiten. ( »Hallo Frühaufsteher!!! Raus aus den Federn! Es ist 4 Uhr 15 und ein neuer Tag erwartet uns. Nehmen Sie eine kalte Dusche; im Vertrauen: Sie sehen aus, als hätten Sie eine nötig. Gestern Abend wohl wieder ein bisschen spät geworden, na? Ha, ha, ha …« ) Keiner wird darüber lachen. Es ist schon ein Fluch, ein halbes Leben hindurch einen so grauenvoll heiteren Sender ertragen zu müssen.
Ich genieße die Stille um mich herum. Niemand ist da, der mir die Ohren mit geheuchelter Fröhlichkeit vollplärrt und mich zum Aufstehen treibt. Aber es gibt auch keine Stimme, die mich sanft darum bittet, wieder zurück ins Bett zu kommen. Es ist zum Verzweifeln. Stets schleicht sich dieses ›aber‹ in meine Gedanken. Nie will es mir gelingen, eine Sache vollkommen positiv zu betrachten. Jede noch so gute Münze scheint ihre zweite, bessere Seite zu haben. Und auf diese Seite ist das Antlitz Nataschas geprägt.
Meine Augen brennen. Lange schon sehnen sie sich nach Schlaf. Ob ich will oder nicht, ich kann ihnen diesen Wunsch nicht erfüllen. Matt stolpere ich zurück ins schützende Dämmerlicht des Zimmers. Meine Finger tasten in einer Schublade gerade nach weiteren Zigaretten, als ich es höre. Ganz deutlich. Vorsichtige aber dennoch leise knirschende Schritte auf dem Vordach.
Der Schatten vorhin war doch keine Halluzination , durchfährt es mich heiß. Diesmal bin ich gefasster. Mit angehaltenem Atem schiebe ich mich zentimeterweise näher, den Rücken flach gegen die Wand gepresst. Die Schritte sind nun genau unter mir. Plötzlich verstummen sie. Jemand (Sie) steht jetzt vor meinem Fenster. (Und sieht hinauf?)
Kalter Schweiß bedeckt meine Stirn. Ich unterdrücke nur soeben den Zwang, mich wie ein Lemming in die Tiefe zu stürzen. Jede Fiber meines Körpers ist gespannt. Als gelte es einem
Weitere Kostenlose Bücher