BASTET (Katzendämmerung) (German Edition)
verrückten Scharfschützen auszuweichen, schiele ich unendlich wachsam nach unten. Immer mehr vom Rand des schmalen Daches kommt in mein Blickfeld. Eine grünbläulich-graue Fläche. Kalt und – verlassen.
Mit zittrigen Fingern reibe ich mir die Augen. Das kann nicht sein. Unmöglich. Ich bin nicht verrückt. Noch nicht. Ich spüre genau, dass dort etwas war (ist.) Was wie ein Schrei der Verzweiflung über die schadenfroh grinsende Stadt hallen soll, verkommt zu einem schüchternen Flüstern.
»Natascha?«, hauche ich in den sich auffrischenden Wind. Keine Antwort. Ich schließe die Augen, um meine Sinne auf jedes noch so kleine Geräusch lenken zu können. Und dann empfange ich tatsächlich etwas. Keine menschliche Stimme; ein Scharren. Ein Kratzen von Krallen auf Stein. Katzenkrallen.
»Da draußen ist nichts«, versuche ich mir einzureden, »absolut nichts. Nur ein paar streunende Katzen.« Mein Gefühl sagt mir etwas anderes. Ich habe ihr Versprechen, und Natascha war (ist?) keine gewöhnliche Frau, in keiner Beziehung. Sie war mehr. Anders. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich war dabei, als sie … anders wurde.
Das Verlangen nach Nikotin ist ungebrochen. Vage erinnere ich mich, ein Päckchen fallen gelassen zu haben, als ich Natascha – falsch! – irgendetwas hörte. Mühsam keuchend suche ich den Boden nach verstreuten Zigaretten ab. Ich könnte jetzt zehn auf einmal gebrauchen.
Der beißende Rauch in meinen Lungen beruhigt. Ich liege wieder im Bett – in unserem Bett – und starre ins Leere. Tabakwolken ziehen an der Decke entlang. Ich kann jetzt nur noch an den letzten Tag denken, an das Ende. Die Ereignisse dazwischen wirbeln undeutlich in meinem Kopf umher. Vielleicht waren sie auch nichts anderes. Bunte, berauschende Wirbel. Nur kurze Episoden fallen mir wieder ein. So der Nachmittag nach unserer ersten gemeinsamen Nacht.
Als ich erwachte, lag ich nicht etwa auf dem Fußboden, sondern im Bett. Ob es meiner feurigen Geliebten allein gelungen war, mich hier herauf zu hieven, oder ob ich selbst halb träumend die bequemere Schlafstätte aufgesucht hatte, blieb mir schleierhaft. Ich fühlte mich jedenfalls so, als ob ich einen 20-Runden-Kampf im Superschwergewicht hinter mich gebracht hätte. Der Gegner musste eine Kreuzung zwischen einer Schlange und einer Dampfwalze gewesen sein. Jeder einzelne Knochen tat mir weh, meine Muskeln schrien und etwas brannte im Rücken. Und doch wollte ich dieses Gefühl um nichts in der Welt missen. Ich drehte mich herum, aber die andere Seite des Bettes war leer. Hatte ich gegen ihn – nein sie – gewonnen?
Mir kamen Zweifel. Fühlte sich so ein Sieger?
Die Zweifel waren berechtigt. Natascha war schon lange vor mir aufgestanden, frisch und munter wie immer. Vielleicht hatte sie sogar noch einen Jogginglauf um fünf Blocks gemacht, um ihren Kreislauf wenigstens ein bisschen zu fordern. Als ich endlich die Kraft fand, aufzustehen und mit nur einem Bettlaken bekleidet durch die Wohnung schlurfte, fand ich sie jedenfalls bereits emsig arbeitend vor. Sie saß an einem Schreibtisch, fast völlig hinter hohen Stapeln von Akten und Büchern verborgen. Auch auf dem Boden um sie herum türmte sich kaum weniger Papier. Neugierig ließ ich meinen Blick wandern. An den Wänden ihres Büros hingen verschiedene unter Glas gelegte Pergamentstücke sowie gerahmte Fotografien, die meisten davon in Schwarz-Weiß.
Eine der Aufnahmen in meiner Nähe zeigte ein großes Passagierschiff im Hafen einer unbekannten südlichen Stadt. Palmen flankierten die Kaipromenade. Ein anderes Bild daneben weckte mein Interesse. Es zeigte eine Gruppe von fünf Personen, die nebeneinander aufgereiht auf einem felsigen Hügel standen. Der Mode nach zu urteilen, stammte das Bild aus der Zeit nach der Jahrhundertwende. Links stand ein ernst blickender Mann, die Lippen entschlossen zusammengepresst, den dichten Schnurrbart keck nach oben gezwirbelt. Er trug eine Art Jagdanzug, an dem keine Falte zu sehen war. Das Revers war trotz der sicherlich herrschenden Hitze korrekt geschlossen. Alles an ihm vermittelte den Eindruck von strenger Ordnung; selbst die hohen Schaftstiefel schienen zu glänzen. Sieht aus, als ob er sie sich für die Aufnahme extra geputzt hat, kam es mir in den Sinn. Mit dem rechten Arm stützte er sich auf eine Schaufel, den linken hatte er um die Schulter der neben ihm stehenden Frau gelegt. Die Frau (seine Frau?) wirkte um einiges jünger, obwohl ihr harter Ausdruck dem des Mannes
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