Bateman, Colin
Moment glaubte ich, dieser Blödmann wäre tatsächlich
hineingefallen, denn wir konnten sehen, dass er bis zu den Knien im Wasser
stand. Er gestikulierte wild in unsere Richtung, verlor dabei tatsächlich das
Gleichgewicht und fiel auf den Hintern. Praktisch im gleichen Augenblick
krabbelte er wie besessen rückwärts, bis er wieder auf den Pfad gelangte, wo
er weiter in den See deutete und irgendetwas Unzusammenhängendes schrie. Er
wirkte so aufgeregt, dass Alison, mich immer noch an der Hand, auf ihn
zuzurennen begann, und je näher wir kamen, desto klarer wurde es, dass er nicht
etwa ein großes Getue um nichts veranstaltete, wie das bei Amerikanern so
üblich ist, sondern dass tatsächlich etwas ziemlich Schlimmes geschehen sein
musste. Deshalb erschien es mir lächerlich, auf ihn zuzulaufen, denn dieses Etwas konnte sich
jederzeit als bedrohlich oder ansteckend oder gar lebensgefährlich entpuppen.
Besser wären wir augenblicklich in die entgegengesetzte Richtung gelaufen, um Hilfe zu
holen oder wenigstens Zuflucht hinter den Ästen eines Baumes zu suchen. Aber
nein, Alison zerrte mich erbarmungslos vorwärts. Der amerikanische Dichter,
noch gestern um Worte nicht verlegen, konnte nur noch zeigen und stottern.
Trotz seines breiten Mundes und seines Mormonen-Gebisses, das für ein falsches
Lächeln geradezu prädestiniert war, wirkte sein Gesicht jetzt düster und
zutiefst gepeinigt.
Alison ließ meine Hand los.
Ich blieb, wo ich war, während sie sich ans Ufer des Sees vorwagte. Fast
augenblicklich stieß sie einen kleinen Schrei aus. Doch das hielt sie nicht
davon ab, ins Wasser zu steigen und mehrere Meter hinauszuwaten. Ich konnte
jetzt sehen, was sie sah. Etwas Großes, Dunkles trieb dicht unter der
Oberfläche. Alison blickte zu mir zurück. »Es ist Daniel Trevor«, rief sie mit
zittriger Stimme. »Es ist der verdammte Daniel Trevor.«
35
Ich tat etwas Ungewöhnliches:
Ich hörte zu. Dichter, Polizisten, Kinder, Leichenbestatter. Sie alle waren
einer Meinung. Daniel Trevor war ertrunken. Er war im Vollrausch in den See
gestolpert. Oder er hatte sich hineingeworfen, weil ihn in einer schwachen
Minute die Trauer über den Verlust seiner Frau übermannt hatte. Es gab keine
Anzeichen für einen Kampf, keine verräterischen Hinweise auf einen gewaltsamen
Tod. Ein Krankenwagen stand sinnlos herum, ebenso ein Reporter der
Lokalzeitung, aber der Fall schien für alle klar. Obwohl er in Wahrheit zum Himmel
stank. Ebenso wie Daniel, als sie ihn aus dem gottverdammten Gewässer zogen,
bereits aufgedunsen, der Bademantel vollgesogen, Laichkraut im tropfnassen
Haar. Die Dichter trugen seinen Körper hoch oben auf ihren Schultern, als
brächten sie einen großen Helden vom Schlachtfeld heim, während seine Tochter
hysterisch schluchzend auf die Knie sank und sein Sohn wie versteinert dastand.
Er hatte sich einen Vollrausch
angetrunken. Er war der väterliche Gönner und die Seele der Party gewesen. Er
hatte sich bewusst für diesen Weg entschieden, auf dem Höhepunkt seiner Beliebtheit, in Gesellschaft
der Künstler und Dichter, die er so liebte, und seiner tanzenden und singenden
Kinder.
Brendan Coyle war vermutlich
der Letzte, der ihn lebend gesehen hatte. Um drei Uhr morgens hatte Brendan
immer noch getrunken, als Daniel an der Küchentür vorbeiging. Obwohl er ihn
angesprochen hatte, hatte der Verleger nicht reagiert.
Dieser Zeitpunkt ließ etwas
bei mir klingeln. Daniels Zimmer lag direkt neben unserem. Nachdem mein Phantom-Tinnitus
sich als Telefonanruf entpuppt hatte, hatte ich einen Blick auf die Digitaluhr
neben unserem Bett geworfen.
Ein Anruf, um ihn nach draußen
zu locken?
Wie schwierig war es, einen
Volltrunkenen zu ersäufen, ohne dabei Spuren zu hinterlassen?
Nicht wirklich schwer, da war
ich mir sicher.
Besonders dann nicht, wenn man
Routine darin hatte.
Und so viel wusste ich über
Serienkiller. Hatten sie erst einmal Geschmack an der Sache gefunden, wurden
sie unersättlich. Lagen anfänglich noch Monate zwischen den Morden, schrumpften
die Intervalle bald auf Wochen, auf Tage. Das nannte man Eskalation. Fritz hatte Rosemary vor etwa
neun Monaten getötet und dann eine lange Pause eingelegt, bevor er das Tempo
anzog. Inzwischen wuchs der Leichenberg täglich. Rosemary, Manfred, Malcolm
Carlyle, der Lederhosen-Mann und jetzt Daniel Trevor.
Alison war tief erschüttert.
Und mich schüttelte es im
wahrsten Sinne des Wortes. Vor allem wegen der Medikamente. Aber auch weil mir
kalte
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