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Batmans Schoenheit

Batmans Schoenheit

Titel: Batmans Schoenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Mondrian dieses Massaker gemalt haben könnte –, bis nichts mehr an den eigentlichen Schrecken erinnerte und die Komposition nur mehr für sich selbst bestand. Und man mit Leichtigkeit diesen Kindermord auch als Vorlage für eine Tapete oder als Mosaik in einer Schulschwimmhalle hätte verwenden können.
    Mehr als ein Jahrzehnt funktionierte diese Tapeten- und Mosaikstrategie, diese Idealisierung und Verdrängung. Aber die Wahrheit holte Red ein. Der reinste Magnet.
    Neben dieser einen Anziehung stand noch eine andere. Indem nämlich Red auf eine, wie das hieß, unschuldige Weise tagtäglich mit Swedenborgs Frau eine oder auch ein paar Zigaretten rauchte, und zwar wirklich heimlich, weil ja Silvia Swedenborg unbedingt im Ruf stehen wollte, rauchende Männer und auch Frauen aus ihrem Haus zu verbannen, darum also kam man sich unweigerlich nah und näher, letztendlich die Unschuld hinter sich lassend.
    Silvia war eine großgewachsene, schlanke, aber leicht ungelenke, etwas knochige Blondine mit langem glatten Haar. Zehn Jahre jünger als ihr Mann und zehn Jahre älter als Swedenborg. Eine dieser Frauen, die etwas von einem gebrochenen Bleistiftabsatz an sich haben: feierlich, jedoch hinkend, mit der Nervosität derer ausgestattet, die ein Unglück riechen. Ihre Haut besaß einen dunklen Teint. Es hieß, sie hätte türkische Vorfahren. Sie war das, was man wohl eine Schönheit nennt, aber eine leidende Schönheit. Es lag ein tiefer Schmerz in ihrem Gesicht, und zwar nicht begraben, sondern quasi obenauf, das Gesicht bestimmend, ihre Schönheit in ein stilles, sprachloses Unglück verwandelnd. Wobei sie nicht ältlich wirkte, überhaupt nicht, eher jugendhaft, als bestehe nicht zuletzt eins ihrer Dramen darin, nicht altern zu können.
    Doch der fundamentalste Reiz Silvia Swedenborgs ergab sich für ihre Umgebung aus der Tatsache, daß sie die Frau eines wichtigen Mannes war. Eines Mannes, dem zwar raffinierte Skrupellosigkeit nachgesagt wurde, aber ebenso eine absolute Treue in Bezug auf seine Ehe. Keine der üblichen Hurereien, keine Abende in einschlägigen Clubs, keine Geliebte andernorts, nichts dergleichen.
    Somit klebte an Silvia Swedenborg das Geheimnis einer Frau, deren Position als Ehegattin in all den Jahren vollkommen ungefährdet geblieben war. Was sicher nicht daher rührte, daß sie so gute Plätzchen backte. In die Küche ging sie nur, um die dort versteckten Zigaretten zu holen oder mitunter ratlos vor der Kaffeemaschine zu stehen, welche dann von Frau Holle bedient wurde (Frau Holle, die Wirtschafterin; nun, so hieß sie eben, denn das ist ja ein ganz normaler Name). Auch war Silvia weder besonders eloquent noch witzig. Wie gesagt, sie verkörperte ein Geheimnis, und selbiges wäre kaum ein richtiges gewesen, hätte man es sofort entschlüsseln können.
    Auch Red hätte nicht eigentlich sagen können, was ihn an Silvia anzog. Ihre schmerzhafte Hübschheit zog ihn wenig an. Anfangs war es allein diese gewisse Verbundenheit gewesen, die sich aus den Verschränkungen zweier Rauchsäulen ergeben hatte. Wenn die beiden draußen standen, hinter den Garagen, im toten Winkel, in der »Sünde« vereint, der Tabaksünde, dann fühlte sich das an, als wären sie Geschwister. Und bekanntermaßen kommt es auch bei Geschwistern mal vor, daß sie gerne sehen möchten, wie das ist, an den Lippen des anderen festzukleben und sich ein bißchen schmutzig fühlen zu dürfen.
    Nun, sie taten es. Irgendwann waren sie einfach soweit, sich zu küssen, sich umfangen zu halten, vorsichtig die Treppen hochzusteigen und unter eine gemeinsame Decke zu kriechen, um diesmal mehr als nur Blicke und Zigaretten auszutauschen. Palle war zur selben Zeit in Tokio, wo er sich in diesen Wochen des öfteren aufhielt, er konnte gut mit den Japanern, er schätzte ihre Bildung, ihre Vorliebe für die Form und das Zeichen, ihren Reduktionismus, ihr Bedürfnis, nichts zu vermischen, was nicht vermischt gehörte. Swedenborg hatte vor, die Japaner stärker in Europa einzubinden und solcherart die anderen Asiaten in Schach zu halten oder noch besser hinauszuschmeißen. Daß die Liebe zu Japan von manchen als alte Naziliebe bezeichnet wurde, störte Swedenborg dabei nicht im geringsten.
    Was ihn hingegen durchaus störte, war die Mitteilung, daß es sein Sekretär mit seiner Frau treiben würde – wie man das so ausdrückt, wenn man nicht sagen will: sie liebten sich .
    Obgleich die Angestellten im Haus dies mitbekommen hatten, hatte dennoch jeder

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