Batmans Schoenheit
hören, wie es gegen das Land schlug, das sich ihm in den Weg stellte.
Es war ein winziges Lokal, aus dem nun ein hoher, breiter Mensch heraustrat. Sichtbar kein Insulaner, mit seinen roten Haaren und der hellen Haut, die jedoch im hiesigen Wetter etwas gereift war. Er sprach das Englisch eines Mannes, der nicht zu den Engländern gehörte. Schotte, wie sich bald herausstellte. Er war auf der Insel hängengeblieben, wie das manchmal geschieht, hatte eine Frau von hier geheiratet und seine kleine Restaurantbar aufgemacht, die einen unaussprechlichen Namen besaß. Der ganze Mann hatte etwas Unaussprechliches. Allein seine weißen Ringerarme, auf denen die Pigmentflecken wie Tausende Pünktchen von Rost ein dichtes Muster bildeten. Oder sein Nacken. Der Mann war wahrscheinlich ein Zyklop, dem im Zuge eines Defekts ein zweites Auge gewachsen war. Seine Frau stand in der Küche, aus der sie nie herauszukam. In dem kleinen, dunklen, von einer roten Lampe weniger beleuchteten, als eingeschatteten Gastraum lehnten vier, fünf Stammgäste im ewigen Dämmerlicht einer untergegangenen Sonne.
Cheng und seine Freunde hingegen hatten sich im Schein des tatsächlichen Sonnenuntergangs plaziert und verzehrten nun ihre Fleischspieße. Nicht, daß das Essen umwerfend war, aber das war es nirgends auf dieser Insel. Der Wein des Schotten allerdings erwies sich als in Ordnung und bezahlbar. Man wurde hier nicht betrogen, und das war somit ein Urlaubsbeginn, wie ihn nur wenige Touristen erleben. Gleich wo, weil Touristen ganz sicher nicht darum in die Welt gesetzt wurden, um das Glück zu verkörpern, sondern das Phänomen einer am falschen Ort befindlichen Person.
Es gibt Menschen, die atmen nicht einfach nur, sondern sie scheinen etwas Ungehöriges mit der Luft zu tun, bevor sie sie einatmen. Man könnte vielleicht sagen, sie töten die Luft oder demütigen sie, um dann erst diese tote oder wenigstens gedemütigte Luft sich einzuverleiben. Dabei entsteht eine sphärische Spannung, die man irrigerweise als Charisma bezeichnet. Man sagt, daß solche Menschen die Luft in Schwingung versetzen, doch diese Schwingung, diese Bewegung, diese Fluchtbewegung, sie entsteht allein aus dem Bedürfnis der Luft, vor diesem einen Menschen davonzulaufen.
Der Mann, der nun die Straße hochkam und vor dem kleinen Lokal des Schotten hielt, um von diesem mit Handschlag begrüßt zu werden, war so einer: ein Lufttöter und Luftfresser. Seine dunkelblonden Haare und seine sonnengebräunte Haut verrieten ihn als den Ausländer, der er war. Obgleich die Wärme des Tages kaum gewichen war, trug er Jackett und Krawatte. Wie angegossen, perfekt, gleichermaßen künstlich wie natürlich, als handle es sich bei diesem Anzug um eine biologische Waffe am Körper eines etwa dreißigjährigen Menschen, der überall ein- und ausging. Ja, das sah man ihm deutlich an, seine Fähigkeit, durch jede Türe zu marschieren, durch die er wollte.
Dieser Mann zog die Blicke auf sich, obwohl er ja nicht viel mehr tat, als sich mit dem Schotten zu unterhalten und dabei ein wenig Luft umzubringen. Sehnaz und Eva waren sichtbar konzentriert. Was Cheng und den andern Jungs natürlich unangenehm war. Und erst recht unangenehm wurde es ihnen, als sich dieser Mann an den Nebentisch setzte und sich alsbald zu der Wiener Gruppe gesellte. Es zeigte sich, daß er Deutscher war, in Hamburg lebte und soeben mit einigen Geschäftsfreunden einen Madeiraurlaub verlebte. Selbstredend wohnte er im Reid’s Palace , und das war nun genau das Hotel, das zu ihm paßte.
Das Reid’s , welches ebenfalls von einem hängengebliebenen Schotten gegründet worden war, war keins dieser abgeschmackten Nobelhotels, die dem Prinzip folgen, daß zwei übereinandergelegte wertlose Teppiche einen wertvollen ergeben, sondern eins von den »very grand hotels«, in denen ausgeprägte Zeremonien abliefen und die Menschen, jeder von ihnen, die Rolle in einem Stück innehatten. Einem stark von Geometrie bestimmten Stück, so wie man das aus Alain Resnais’ Schachbrettfilm Letztes Jahr in Marienbad kannte. In solchen Häusern verkehrten Menschen, die sich trotz ihrer eingebildeten und vielleicht sogar tatsächlichen Einmaligkeit als Teil einer magischen Anordnung begriffen, einer rituellen Praxis. Wobei jene bekannten Rituale des Reid’s Palace , etwa der Afternoon Tea oder der Dinner Dance, bloß die Oberfläche bildeten, die nach außen strahlende Klischeeerfüllung.
Das Reid’s war auf einen Felsen gebaut
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