Batmans Schoenheit
Hypnosetechnik. Diese Frau war der absolut einzige Mensch, bei dessen Anblick Cheng nicht jene übertriebene Klarheit und störende Intensität einer Verdoppelung empfand, die seit seinem Traumtod sein Wachsein bestimmte. Kein Wunder, daß er bezüglich der lieben Frau Doktor einen gewissen Verdacht hegte.
»Sagen Sie ehrlich«, bohrte Cheng, »sind Sie wirklich von hier?«
Nun, vielleicht hätte er die Frage etwas präziser formulieren sollen, denn die Therapeutin sagte einfach: »Nein, bin ich nicht.« Was freilich eine Menge bedeuten konnte, etwa, daß sie aus Bulgarien oder Rumänien oder so stammte, wie ihr schwer auszusprechender Vorname nahelegte. Doch mehr als dieses eine »Nein« gab sie nicht preis. Was sie hingegen sehr wohl preisgab, war die Idee, Cheng möge jenen Mann aufsuchen, den er ja offensichtlich für den Schuldigen an der ganzen Misere hielt: Palle Swedenborg.
»Wie? Soll ich vielleicht Detektiv spielen?« empörte sich Cheng, der zu dem Zeitpunkt in keiner Weise ahnen konnte, daß er diesen Beruf – den er als peinliche Verkörperung eines literarischen Topos empfand – einmal ausüben würde. Doch nur einen Moment später wurde er ganz klein und bat seine Therapeutin, ihn nach Hamburg zu begleiten.
Frau Dr. Lieske, die darauf bestand, von allen »Fräulein Lieske« oder einfach »Fräulein« genannt zu werden, war nun alles andere als kleinmütig. Sie begriff ihre Patienten als einsame Winterreisende, als elternlose Kinder, als Nichtschwimmer in tiefen Meeren. Und war zudem so konsequent, nicht nur honorarpflichtige Empfehlungen abzugeben, sondern auch den Bitten ihrer Schutzbefohlenen nachzukommen. Ja, sie stellte das Ersuchen über jegliche therapeutische Vernunft. Wenn jemand essen wollte, gab sie ihm ein Essen. Die meisten Therapeuten erklären einem bloß, was so ein Essen alles Schreckliche im Magen anrichtet. Ermahnen einen aber gleichzeitig, beim Verzehr ganz locker und gelassen zu bleiben.
Anders Fräulein Lieske.
Sie versprach, mit nach Hamburg zu kommen.
Und darum geschah es, daß wenige Tage später eine kleine Frau und ein nicht sehr viel größerer Mann vor dem mächtigen Eingang zu Swedenborgs Villa standen und einen Angestellten darum baten, den Hausherrn zu sprechen.
Das war natürlich vermessen, einfach so bei der Türe hereinschneien zu wollen. Noch dazu angesichts eines Mannes, der trotz seiner Erfolge als Geschäftsmann und seines wachsenden Einflußes den Schulterschluß mit der Politik, ja eigentlich jeglichen Schulterschluß in auffälliger Weise vermied. Selbst seine guten Taten, die wie selbstverständlich zu einem solchen Leben gehörten, beging er mit vornehmer Zurückhaltung. Nicht, daß er sie nicht publik machte – etwa sein Engagement für Delphine, überhaupt den Schutz der Meere –, aber er brachte sich dabei nicht selbst ins Spiel, sondern ließ andere davon schwärmen. So nannte Jean-Michel Cousteau ihn einmal den »großzügigsten Förderer der Meere«, wobei Cousteau ganz sicher nicht Swedenborgs Beteiligungen an Ölfördergesellschaften und deren ins Meer gepflanzte Plattformen meinte, sondern eben die Unterstützung der Meeresforschung und vor allem der Meeresforscher (denn man kann sich vielleicht die Meere ohne Forschung denken, aber niemals ohne Forscher).
Jedenfalls war Swedenborg sicher nicht der Mann, der unangemeldeten Besuch empfing. Genau das sagte jetzt der Hausangestellte an der Türe, der es übrigens einem Irrtum zuschrieb, daß Cheng und seine Begleiterin überhaupt mit dem Taxi bis zum Haus gelangt waren und man sie nicht schon beim Straßentor abgewiesen hatte. Offensichtlich war jemand anders erwartet worden.
Es gibt Irrtümer, die scheinen wie von Gott gesandt.
Und es gibt Leute, die nicht von dieser Welt sind. Leute wie jener Mann auf Madeira, der mit den drei Zähnen und der Ausstrahlung eines lebenden Fossils, welcher Salty Dog an Cheng verkauft hatte. Oder ein Wiener Buchhändler namens Wilhelm Wilhelm. Oder eben das Fräulein Lieske. Es ist nur eine Vermutung, aber eine berechtigte, daß es sich bei solchen Personen um Naturgeister handelt, mit dem deutlichen Hang, unter den Menschen zu leben und einigen von ihnen zu helfen. Die meisten Natur- und Hausgeister haben sich – und das ist ja bekannt – von den Menschen entfernt, enttäuscht ob deren absoluter Hinwendung zu einem billigen Materialismus und dem schlechten Benehmen gegenüber der Natur. Einige dieser Geister hingegen …
Fräulein Lieske sah durch
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