Batmans Schoenheit
Lieske im Schlafwagenabteil des Nachtzuges, der sie von Hamburg zurück nach Wien brachte. Sie hatten eine Flasche Rotwein geöffnet, der bei weitem nicht an die Qualität jenes nachmittäglich eingenommenen, fabulösen schwarzen Tees heranreichte, aber als Trost funktionierte er trotzdem ganz gut.
»Sie müssen mir das jetzt erklären«, sagte Cheng. »Was ist zwischen Ihnen und Swedenborg? Sie kannten ihn schon vorher, nicht wahr?«
»Sie irren sich. Ich kannte ihn nicht«, antwortete Lieske, »aber als ich ihn sah, war mir augenblicklich klar, mit wem und womit wir es da zu tun haben.«
»Da bin ich jetzt neugierig.«
»Sie werden sich schwertun zu glauben, was ich Ihnen erzähle.«
Nun, das stimmte. Aber das nur schwer Begreifliche ergibt sich mitunter aus einem Mangel an Kenntnis des Naheliegenden. Wie auch immer, in der nächsten Stunde breitete Fräulein Lieske das Bild einer Welt aus, das anzuerkennen, Cheng einiges abverlangte.
»Engel?« fragte Cheng, nachdem das erste Mal dieser Begriff gefallen war. »Sie verlangen allen Ernstes von mir, daß ich an Engel glauben soll?«
»Keine Engel, wie Sie sich das vorstellen.«
Nun, die Engel von denen Lieske sprach, waren wohl am ehesten mit denen verwandt, wie sie in einer 1845 in Tübingen erschienenen Abhandlung mit dem Titel »Die Eheliche Liebe« beschrieben werden, nämlich als Wesen, die aus einer Heirat im Himmel hervorgehen, dann, wenn Mann und Frau im Jenseits erneut aufeinandertreffen und zu einer Einheit, eben einem geschlechtslosen Engel verschmelzen. Während freilich die meisten Leute weder auf Erden noch nach dem Tode zu einer solchen Verschmelzung imstande sind.
In diesem Buch beginnt das Märchen dort, wo das Jenseits schön sauber in Himmel und Hölle aufgeteilt ist, nach dem Motto, daß sich gleich und gleich gern gesellt. Das mag nun vielleicht für die Sanften, in ihrer Fusion glücklich Gewordenen gelten, doch ganz sicher nicht für jene, die schon zu Lebzeiten einen gewissen Hang zeigten, ihr Glück im Besitz und vor allem in einer steten Vergrößerung dieses Besitzes zu finden. Die Hölle ist ihnen zu wenig. Zudem ist es kaum eine Freude zu nennen, sich unentwegt unter Gleichgesinnten zu bewegen, ähnlich einem Gefängnis, wo ein Räuber auf andere Räuber trifft, aber auf niemand, den er berauben könnte.
Obgleich die Begriffe Himmel und Hölle eben jener Märchenwelt entstammen, so passen sie doch ganz gut, um zu beschreiben, was hier geschieht. Es herrscht Krieg. Krieg zwischen den Sphären. Beziehungsweise müßte man von einer Jagd sprechen. Die geschlechtlichen Engel jagen die geschlechtslosen. Wobei freilich auch die Gejagten ihre Mittel haben, also nicht etwa pures Schlachtvieh abgeben.
Klar, Engel können nicht sterben, aber worin auch immer die Schwäche der geschlechtlichen Engel liegt, die der androgynen ergibt sich dadurch, im Zuge einer an ihnen vorgenommenen magischen Penetration genau diese Androgynität zu verlieren, wieder zwei zu werden, verdammt zu sein, erneut das Gespaltensein von Mann und Frau, wenngleich im Diesseits, zu durchleben. Das ist das Ziel der Jäger: die Zerstörung der Idylle, die Zerstörung jenes botanisch friedvollen Zustands zwitterhafter Wesen.
Das sind nicht ganz einfache physikalische, chemische und psychologische Prozesse, die da ablaufen, versteht sich. Was nicht minder für die Fähigkeit sämtlicher Engel gilt, die Gestalt von Menschen anzunehmen. Beziehungsweise in einen Menschen zu schlüpfen. Aber es funktioniert. Und als sich einst der Sieg der Jäger abzeichnete, erkannten die verbliebenen Androgynen eine letzte Möglichkeit der Rettung: den bedrohten Himmel zu verlassen und auf die vergleichsweise sichere Erde zu flüchten. Sie tarnen sich seither im Menschenbild, verstecken sich im Kleid der Vergänglichen. Denn es ist eine gute Tarnung. Eine fast perfekte. In die Hülle eines Menschen geschlüpft, erkennt der eine Engel den anderen nicht oder tut sich zumindest recht schwer damit. Allerdings stehen die Androgynen – die man auch die Einhäusigen nennt – vor dem Problem, sich in eine geschlechtliche Person verwandeln zu müssen. Klar, es gibt im Diesseits transsexuelle Existenzen, aber erstens ist das etwas anderes denn »ein Haus«, und zweitens wäre es eine schlechte Tarnung. So ist der androgyne Engel gezwungen, sich als Mann oder Frau zu geben, eine Geschlechterrolle zu spielen. Aber gut, in diesem Dilemma befinden sich auch Menschen, die keine Engel sind.
Anders
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